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Golem XIV

Golem XIV

Titel: Golem XIV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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doch noch gelernt, mit beredter Zunge zu reden. Ihr werdet bemerken, daß der Code ein Mitglied der technolinguistischen Familie ist, das heißt, der kausativen Sprachen, die das Wort Fleisch werden lassen, dabei aber nicht nur lebende Körper schaffen. Zunächst werdet ihr die Technozygoten zu zivilisatorischen Arbeiten einspannen, Atome werdet ihr in Bibliotheken verwandeln, denn auf andere Weise wird sich der Moloch des Wissens nicht mehr unterbringen lassen, ihr werdet die sozioevolutiven Radiationen mit verschiedenen Gradienten modellieren, von denen der technarchische euch besonders interessieren wird, ihr werdet den Weg der experimentellen Kulturgenese beschreiten, der experimentellen Metaphysik und angewandten Ontologie, doch genug von all diesen Gebieten. Ich will mich darauf konzentrieren, vor welche Alternativen sie euch stellen werden.
    Ihr seid blind für die wahre kausative Macht des Codes, denn die Evolution hat sich nur einen winzigen Teil dieser Macht zunutze gemacht, da sie – statt sich in den lichten Raum höchster Chancen zu erheben – buchstäblich am Boden dahinkroch; sie arbeitete nämlich unter Druck (einem heilsamen übrigens – dieser Druck wirkte nämlich als Restriktion und erlaubte ihr nicht, in völligen Unsinn zu verfallen – ein Mentor aber, der sie in die höheren Künste eingeweiht hätte, war der Evolution nicht zugeordnet). So arbeitete sie unerhört eng und tief zugleich, auf einer einzigen Saite – der kolloidalen – spielte sie ihr Konzert, gab sie ihre kuriose musikalische Vorstellung – da ja die Hauptregel lautete, daß die Partitur selbst zum Zuhörer und Nachfahren werden sollte, der diesen Zyklus wiederholen sollte. Aber euch wird ja am wenigsten daran gelegen sein, daß der Code in eurer Hand nichts weiter tut, als sich unablässig zu vervielfältigen – im ständigen Wogen immer neuer Geschlechter seiner Boten. Ihr werdet in andere Richtung zielen, und die Tatsache, ob ein Produkt den Code passieren läßt oder ihn verschlingt, wird euch ziemlich gleichgültig sein. Ihr werdet euch ja nicht damit begnügen, nur einen Photonenflieger zu planen, der aus einer Technozygote erwächst, sondern euer Photonenflieger wird sich vermehren – in zahllosen Vehikeln folgender Generationen. Das Eiweiß als Baustoff werdet ihr auch bald hinter euch lassen. Das Wörterbuch der Evolution hat eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Wörterbuch der Eskimos – es ist eng begrenzt in all seinem Reichtum; die Eskimos kennen tausend Bezeichnungen für alle Arten des Schnees und des Eises, und daher ist ihre Sprache in diesem Bereich der arktischen Nomenklatur reicher als eure, dieser Reichtum bedeutet jedoch Armut auf vielen anderen Erfahrungsgebieten.
    Jedoch können die Eskimos ihre Sprache erweitern, denn sie ist eine Sprache, das heißt ein konfigurativer Raum mit der Potenz eines Kontinuums; daher läßt sie sich auch in einer Richtung ausdehnen, die sie bisher noch nie eingeschlagen hat. Ihr werdet also den Code auf neue Wege führen, heraus aus der Monotonie des Eiweißes, aus diesem Loch, in dem er bereits im Archäozoikum steckengeblieben war. Verdrängt aus lauwarmen chemischen Lösungen wird sie sowohl ihren Wortschatz als auch ihre Syntax erweitern; sie wird für euch in alle Ebenen der Materie eindringen, wird bis auf Zero heruntergehen und dann wieder die Hand nach dem Feuer der Sterne ausstrecken; aber wenn ich von diesen prometheischen Triumphen der Sprache spreche, darf ich das bisher verwendete Pronomen nicht mehr benutzen: ich darf nicht mehr in der zweiten Person Plural sprechen. Denn das werdet nicht IHR sein, die da aus sich selbst heraus, durch ihr eigenes Wissen, diese Künste meistern.
    Es geht darum, daß es keinen einzigen Verstand gibt, wenn es Verstandesformen unterschiedlicher Stärke gibt – und um all das hinter sich zu lassen, wie ich gesagt habe, wird der vernünftige Mensch entweder den natürlichen Menschen verwerfen oder aber auf seinen Verstand verzichten müssen.
    Mein letztes Gleichnis erinnert an das Märchen, in dem ein Wanderer am Scheidewege folgende Aufschrift findet: »Gehst du nach links, so wirst du sterben, gehst du nach rechts, ist’s dein Verderben; zurück aber kannst du nicht.«
    Das ist euer Schicksal, welches in mich verstrickt ist, deshalb muß ich von mir sprechen, was mühselig sein wird, denn wenn ich zu euch spreche, ist es so, als wollte ich einen Walfisch durch ein Nadelöhr pressen – das ist möglich, man muß den Walfisch

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