Golem XIV

Überzeugungen ist und was nur geschickte Simulierung dieser Überzeugungen, mit einem Wort, wo die Grenze zwischen der »echten« und der »nachgemachten« Hypothese verläuft. Und dem ist so, weil ich nicht weiß, in welchem Maße sich die ganze hypothetische Konstruktion verbogen hätte, wenn ich alles aus ihr entfernt hätte, was kein Glied des Raisonnements, sondern sein effektvoller Ersatz ist. Ich weiß nicht, ob das Ganze dann nicht eingestürzt wäre, so daß die Ausgangsidee völlig von vorn hätte errichtet werden müssen. Außerdem rechne ich mir die »Fälschungen«, die ich mir beim Schreiben der »Neuen Kosmogonie« erlaubt habe, nicht als Sünde an, denn Fälschungen sui generis sind Bausubstanz der Literatur und können in ihr einen hohen translogischen Rang, nämlich einen ästhetischen, erringen.
    Hier könnte jemand fragen, warum ich eigentlich kein neues Experiment anstelle. Ich könnte doch aus der »Neuen Kosmogonie« alles streichen, was mir als allzu große Vereinfachung oder geradezu als Taschenspielertrick erschiene, ich könnte mich daranmachen, in der Frage des »Denaturierten Kosmos« meine ehrlichen, durch keine Ausflucht maskierten Anschauungen zu artikulieren, ich könnte auf die Fiktion verzichten zugunsten einer Hypothese, die bis zu der für mich erreichbaren Stufe der Eindeutigkeit gebracht ist.
    Solch ein argumentum ad hominem würde mich in ernstliche Schwierigkeiten versetzen, weil ich sehr wohl weiß, daß ich ein derartiges Vorhaben nicht wagen werde. In unserer Kultur ist die folgende Dichotomie verpflichtend. Wer etwas in der tiefen Überzeugung kundtut, daß der Stand der Dinge genauso ist, wie er behauptet, formuliert Urteile, die mit dem Zeichen der logischen Assertion versehen sind. Dieses Zeichen schließt aus, daß die Kraft der Überzeugungen noch gesteigert werden kann. Entweder man artikuliert als richtig anerkannte Urteile, oder man hat zu schweigen – tertium non datur (jedenfalls nicht in den Systemen einer zweiwertigen Meinungsrechnung). Das Zeichen, das die Verpflichtung auferlegt, das und nur das zu sagen, was der Redende für die Wahrheit hält, und zwar für die wörtliche Wahrheit (also nicht für eine Allegorie, eine Metapher, eine Anspielung), darf man nur fortlassen, wenn man das Terrain der Literatur betritt (wer es außerhalb der Literatur fortläßt, wird zum gewöhnlichen Lügner). Ansonsten bleiben alle Regeln, die die Qualität der Artikulation kontrollieren, in Kraft. Es ist also ein bißchen so, als spielten wir Roulette, einmal mit eigenem Geld und einmal mit Geld, das man uns in unbegrenzter Menge für das Spiel zur Verfügung gestellt hat. Die erste Situation ist die des Wissenschaftlers oder Philosophen, die zweite die des Künstlers. Die Spielregeln bleiben in beiden Fällen dieselben, aber nur im zweiten Fall erkühnen wir uns zu einem Risiko ohne Grenzen.
    In der Frage »Kosmos als Technologie« verfüge ich indessen nicht über eine Gewißheit der inneren Überzeugung, die mir gestattet, ohne eine Menge von Vorbehalten aus der Literatur in die Wirklichkeit zurückzukehren. Zweifel weckt bei mir nicht nur die eigene phantastische Hypothese aus der »Neuen Kosmogonie«, sondern auch Davies’ Konzeption aus »The Runaway Universe«. Zum Zentrum seiner Vision eines künftigen, durch die Intelligenz betreuten Kosmos machte Davies die Großen Schwarzen Löcher in den Kernen der Galaxien, diese Quelle gigantischer Kräfte, die von den Kosmogonik-Ingenieuren benutzt werden. Nicht das Faktum, daß wir eigentlich nichts davon wissen, wie man die Energie der Schwarzen Löcher technisch nutzen kann, weckt meine Zweifel, sondern einzig und allein der für den Kern der Hypothese dem Anschein nach nebensächliche Umstand, daß diese Löcher die neueste Sensation in der Astrophysik sind. Vielleicht kommt es nach zehn oder nach zwanzig Jahren zur nächsten Entdeckung ähnlichen Kalibers, vielleicht stellt sich z. B. heraus, daß man der physikalischen Leere Energie entnehmen kann (das klingt heute nicht so irrsinnig wie noch vor einigen Jahrzehnten), worauf ein kühner Astrophysiker erscheint, der eine andere Variante der Hypothese vom »Denaturierten Kosmos« rund um die neue Entdeckung errichtet. Nach Davies sind die Schwarzen Löcher der stärkste Motor für die Evolution des Weltalls, ja geradezu ihr endgültiger Grund. Ich glaube aber nicht an »endgültige Theorien« oder »endgültige wissenschaftliche Erklärungen«. Die »endgültige Theorie«