GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
her, wenn sie sich begegnen?«
Der Mann lachte schallend. »Nicht immer. Aber Hearst hat mir nicht gerade eine goldgeprägte Einladung geschickt. Ich musste mich tarnen, um ein paar Bilder zu machen. Wo wir gerade von Bildern sprechen …«
Er zog eine Kamera aus einem der Sandsäcke und griff in den anderen, um seinen Aufnahmefrosch hervorzuholen. Während er sich das Tierchen auf die Schulter setzte, rülpste es und blinzelte Deryn an.
»Ich dachte, Sie wären Büroleiter in Istanbul«, sagte sie. »Also noch einmal, was machen Sie hier? Istanbul ist siebentausend Meilen entfernt!«
Der Reporter winkte ab. »Prinz Alek ist der größte Knüller, den ich je hatte. Den lasse ich mir doch nicht entgehen, nur weil ein oder zwei Ozeane dazwischen liegen. Nachdem ich herausgefunden hatte, dass die Leviathan nach Osten unterwegs ist, bin ich mit dem Schiff nach New York gefahren. Jetzt warte ich schon seit zwei Wochen darauf, wo Sie wohl wiederauftauchen.«
»Aber wie sind Sie hier gelandet?«
»Nachdem die Zeitungen über Mr. Teslas Party in Tokio berichtet hatten, habe ich mir den nächsten Zug nach Los Angeles geschnappt. Da liegt der größte Flugplatz an der Westküste. Gestern Abend habe ich allerdings einen Tipp bekommen, dass Sie hier landen würden.«
Deryn schüttelte den Kopf. Mr. Tesla hatte die Offiziere gestern überredet, bei Hearst die Vorräte aufzufüllen. »Einen Tipp? Von wem?«
»Vom großen Erfinder persönlich. Funkwellen unterscheiden sich ein wenig von Brieftauben, Mr. Sharp. Jeder, der eine Antenne hat, kann sie aufschnappen.« Der Mann zuckte mit den Schultern. »Sie sollten nicht überrascht sein, dass Tesla unkodierte Nachrichten verschickt. Warum sollte er den Zeitungen nicht ihren Spaß gönnen?«
Deryn fluchte und fragte sich, wer wohl noch die Bewegungen der Leviathan verfolgte. Die Spione der Mechanisten verfügten ebenfalls über Funkgeräte. Sie fragte sich außerdem, warum sie Malone eigentlich gerettet hatte. Leute wie er, die ihre Nase überall hineinsteckten, bedeuteten am Ende doch nur Ärger.
»Nun, wie auch immer Sie hier gelandet sind, Mr. Malone, wir müssen die Offiziere fragen, ob Sie an Bord bleiben dürfen. Folgen Sie mir.«
Sie führte ihn zur zentralen Treppe, dann nach oben und nach vorn zur Brücke. In den Gängen des Schiffes herrschte emsige Betriebsamkeit, da der Laderaum bereits geöffnet war, um Treibstoff und Vorräte aufzunehmen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch Malones Verfolger an Bord gekommen wären.
Aber auf der Brücke war es genauso hektisch wie auf dem Rest des Schiffes, und Deryn wurden von einem Offizier zum anderen verwiesen. Der Kapitän war damit beschäftigt, sich für die Wochenschau filmen zu lassen, und ansonsten wollte niemand die Verantwortung für den unberechenbaren Reporter übernehmen. Als Deryn daher Miss Eierkopf und ihren Loris beim Tee in der Offiziersmesse entdeckte, zog sie Malone hinein und schloss die Tür hinter ihnen.
»Ich wünsche einen angenehmen Nachmittag, Ma’am. Dies ist Mr. Malone. Er ist Reporter.«
Miss Eierkopf nickte. »Wie freundlich von Mr. Hearst, sich daran zu erinnern, dass an Bord dieses Schiffes nicht nur Mechanistenwissenschaftler sind, die man interviewen könnte!«
»Mechanisten!«, sagte der Loris hochnäsig.
»Tut mir leid, Ma’am«, sagte Deryn, »aber es verhält sich ein wenig anders, als Sie denken. Verstehen Sie, Mr. Malone arbeitet nicht für Mr. Hearst.«
»Ich bin bei der New York World «, sagte Malone.
»Ein unbefugter Gast also?« Dr. Barlow betrachtete seine Bodenmannschaftsuniform. »Und noch dazu getarnt. Mr. Sharp, haben Sie nicht daran gedacht, dass es hier in Amerika deutsche Spione geben könnte.«
»Da haben Sie sicherlich recht, Ma’am«, sagte Malone und lächelte. »Und zwar viele.«
»Mr. Sharp, wie ist dieser Mann eigentlich an Bord gekommen?«
»Hm, ich habe ihn sozusagen durch eine Luke hereingeholt, Ma’am«, antwortete Deryn kleinlaut.
Dr. Barlow zog eine Augenbraue hoch, und ihr Loris sagte: »Spione.«
»Aber er kann kein deutscher Agent sein!«, rief Deryn. »Ich habe ihn in Istanbul kennengelernt. Und Sie doch auch! Auf dem Elefanten des Botschafters, wissen Sie nicht mehr?«
Malone trat vor. »Der Junge hat recht, allerdings hatten wir kaum Gelegenheit, uns zu unterhalten. Und natürlich habe ich dies auch nicht getragen.«
Er packte ein Ende seines Schnauzbartes, riss ihn mit einem Ruck ab und warf ihn auf den Tisch. Miss Eierkopf
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