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GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

Titel: GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Westerfeld
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Decke waren Heiligenfiguren geschnitzt. Die italienischen Kerzenständer stammten aus dem sechzehnten Jahrhundert, waren jedoch mit winzigen elektrischen Flammen ausgestattet, und der marmorne Kamin war so groß, dass Alek ihn hätte begehen können, ohne sich zu bücken. Alles wirkte übertrieben und zusammengestückelt, als wären Hearsts Innenausstatter plündernd durch Europa gezogen, ohne auf Kosten und Traditionen Rücksicht zu nehmen.
    Das Essen selbst war einwandfrei. Hummer, gebratenes Rebhuhn mit Salade d’Alger , Grouse chaud-froid und zum Dessert Succés de Glace nach Art des Grand Hotels. In der Tat war es das erste anständige Essen, das Alek genießen durfte, seit er sich von zu Hause fortgeschlichen hatte. Bovril hatte von jedem Gang probiert und schlief nun zusammengerollt auf der hohen Lehne von Aleks Stuhl, wobei die Ohren des Tierchens gelegentlich zuckten.
    Obwohl Alek die offiziellen Diners mit seinen Eltern immer verabscheut hatte, war es diesmal anders. Als Kind hatte er immer schweigen müssen, sobald die Sprache auf die Politik kam, jetzt hingegen war er ein begehrter Gesprächspartner. An einem Tisch, an dem dreißig Gäste saßen, hatte man ihn rechts neben Mr. Hearst gesetzt. Tesla saß links vom Gastgeber, und neben ihm der Kapitän der Leviathan und im Anschluss die übrigen Offiziere. Die unglückliche Dr. Barlow hatte auf der anderen Seite des Tisches bei den Damen ihren Platz bekommen, von denen eine Zeitungsreporterin war und die anderen als Filmschauspielerinnen arbeiteten. Vor dem Essen hatte man sie vor laufender Kamera Alek vorgestellt, und dabei hatten sie die surrenden Maschinen angelächelt wie alte Freunde. Deryn war als Kadett natürlich nicht eingeladen worden.
    Während man in aller Ruhe speiste, gab Mr. Hearst seine Ansichten über den Krieg zum Besten. »Wilson wird sich ohne Frage auf die Seite unserer britischen Freunde stellen. Er wird nicht protestieren, wenn die Royal Navy eine Seeblockade gegen Deutschland durchführt. Allerdings wird er Zeter und Mordio schreien, falls Deutschland das Gleiche mit Britannien macht!«
    Alek nickte. Präsident Wilson stammte aus den Südstaaten, erinnerte er sich, und er war als Darwinist aufgewachsen.
    »Aber er behauptet, Frieden schaffen zu wollen«, wandte Graf Volger ein. Er saß dem Ersten Offizier der Leviathan gegenüber, nahe genug also, um am Gespräch teilzunehmen. »Glauben Sie ihm?«
    »Gewiss doch, Graf. Das ist das einzig Anständige an diesem Mann: Er will tatsächlich Frieden!« Hearst stach mit dem Löffel in sein Dessert. »Stellen Sie sich vor, dieser Cowboy Roosevelt wäre gewählt worden. Unsere Jungs wären längst drüben!«
    Alek blickte Kapitän Hobbes an, der lächelte und höflich nickte. Die Briten würden die Amerikaner sicherlich im Kampf gern an ihrer Seite wissen, falls sich das irgendwie arrangieren ließe.
    »Dieser Krieg wird früher oder später die ganze Welt umfassen«, sagte Mr. Tesla ernst. »Deshalb müssen wir ihn jetzt beenden.«
    »Genau!« Hearst klopfte ihm auf die Schulter, und der Erfinder verzog das Gesicht, was dem Gastgeber allerdings nicht auffiel. »Meine Kameras und Zeitungen verfolgen Sie bei jedem Schritt dieses Weges. Bis Sie in New York eintreffen, werden beide Seiten bereits ausreichend gewarnt sein, dass es Zeit ist, diesen Wahnsinn zu beenden!«
    Bei den Worten »beide Seiten« erstarrte Kapitän Hobbes’ Lächeln, wie Alek auffiel. Natürlich konnte Mr. Teslas Waffe gegen London genauso leicht eingesetzt werden wie gegen Berlin oder Wien. Alek fragte sich, ob die Briten Pläne hatten, um dies zu verhindern.
    »Ich bin zuversichtlich, dass die Welt meine Entdeckung als große Hoffnung betrachten wird«, erwiderte Mr. Tesla schlicht. »Und sich keineswegs davor fürchten wird.«
    »Bestimmt werden wir Darwinisten die Sache so sehen«, sagte Kapitän Hobbes und hob das Glas. »Auf den Frieden!«
    »Auf den Frieden!«, antwortete Volger, und Alek hob ebenfalls das Glas.
    Der Trinkspruch machte die Runde am Tisch, und während die Kellner den Gentlemen die Gläser wieder mit Brandy füllten, murmelte Bovril die Worte im Schlaf. Aber Alek fragte sich, ob die amerikanischen Gäste sich überhaupt Sorgen wegen eines Krieges machten, der sich Tausende von Meilen entfernt abspielte.
    »Nun, dann wollten wir mal zur Sache kommen, Kapitän«, sagte Mr. Hearst. »Wo werden Sie auf dem Weg nach New York Zwischenstopp machen? Ich habe Zeitungshäuser in Denver und Wichita. Oder

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