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GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit

Titel: GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Westerfeld
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erinnerte an die Filmkameras, die Alek den ganzen Tag begleitet hatten, doch hatten sie vorn nur ein Auge. Während die Maschine surrend zum Leben erwachte, löste sich ein flackernder Lichtstrahl aus dem Auge und füllte die Leinwand mit dunkeln Kringeln. Dann erschien ein Text …
    Pauline lebt gefährlich stand dort zitternd geschrieben und verweilte lange genug, damit auch ein Kind von fünf Jahren den Text ein Dutzend Mal hätte lesen können. Daraufhin folgte das Firmenzeichen von Hearst-Pathé-Film, dessen Form der Projektor in den Zigarrenrauch über dem Esstisch brannte wie ein Suchscheinwerfer, der sich in Nebel bohrt.
    Schließlich kamen auch die Schauspieler und hüpften wild herum. Es dauerte einige Minuten, bis Alek begriffen hatte, dass es sich bei der Schauspielerin, die neben Dr. Barlow saß, um Pauline persönlich handelte. In Natura war sie ziemlich hübsch, doch die flackernde Leinwand verwandelte sie in ein bleiches Gespenst, dessen Augen mit dunklem Make-up gerändert waren.
    Die laufenden Bilder erinnerten Alek an das Schattenspiel, das er mit Deryn in Istanbul gesehen hatte. Doch die schwarzen Schatten waren elegant und anmutig gewesen und hatten scharfe Silhouetten gehabt. Dieser Film war eine verwackelte Angelegenheit aus verwaschenem Grau und halb erkennbaren Umrissen, der für Aleks Geschmack viel zu sehr der Wirklichkeit ähnelte.
    Die beiden Perspikuitiven Loris waren hingegen vollkommen fasziniert. Bovril war aufgewacht und schaute zu, und die Augen von Dr. Barlows Tierchen leuchteten und blickten ohne zu blinzeln in die Dunkelheit.
    Die Schauspieler küssten sich, spielten in absurden gestreiften Jacken Tennis oder winkten sich mit den Händen zu. Die Szenen wurden immer wieder unterbrochen durch Texte, in denen die Geschichte erklärt wurde und in denen es sich ebenfalls um unangenehme Dinge drehte: Erpressung, tödliche Krankheiten und betrügerische Diener. Es war schon alles sehr schrecklich, und trotzdem gelang es Pauline, sich Aleks Sympathien zu erobern. Sie war eine junge Erbin, die ein Vermögen besitzen würde, sobald sie heiratete, doch zuvor wollte sie die Welt sehen und viele Abenteuer erleben.
    Darin erinnerte sie ihn ein wenig an Deryn, denn sie war klug und furchtlos, brauchte jedoch dank ihres Reichtums nicht vorzugeben, ein Junge zu sein. Zufällig ging es bei ihrem ersten Abenteuer um einen Flug mit einem Wasserstoffballon, und die Ereignisse entwickelten sich ganz ähnlich wie in Deryns Erzählungen über ihren ersten Tag beim Air Service – eine junge Frau wird allein abgetrieben und hat nur ihren Verstand, ein Stück Seil und einige Säcke Ballast, um sich zu retten.
    Ohne jegliches Anzeichen von Panik warf Pauline den Anker des Ballons über die Seite und kletterte am Seil hinunter, und Alek erwischte sich dabei, wie er sich stattdessen Deryn vorstellte. Plötzlich fiel ihm das schreckliche Flackern des Films überhaupt nicht mehr auf. Der Ballon flog an einem steilen Kliff vorbei, und die Heldin sprang auf den felsigen Abgrund und kletterte nach oben. Als Pauline oben an der Kante hing, eilte ihr Verlobter in seinem Läufer herbei, um sie zu retten, und Alek schlug das Herz bis zum Hals.
    Dann endete der Film plötzlich, und die Leinwand wurde weiß, während die Filmspule knatterte wie ein Aufziehspielzeug, das losgelassen wurde. Die elektrischen Kronleuchter über ihren Köpfen flammten wieder auf.
    Alek wandte sich an Mr. Hearst. »Aber das kann doch nicht das Ende sein! Was geschieht als Nächstes?«
    »Dies nennen wir einen ›Cliffhanger‹, aus offensichtlichen Gründen.« Hearst lachte. »Jede Folge endet damit, dass Pauline in großen Schwierigkeiten steckt – mal ist sie an Eisenbahngleise gekettet, mal sitzt sie in einem ausgerissenen Läufer. Das Publikum kommt dann wieder, um die nächste Folge zu sehen, und auf diese Weise brauchen wir das verdammte Ding niemals zu beenden!«
    »Cliffhanger«, sagte Bovril und gluckste.

    »Diner mit Pauline.«
    »Äußerst genial«, sagte Alek, obwohl es ihm ziemlich hinterhältig erschien, das Publikum auf ein Ende warten zu lassen, das niemals eintreten würde.
    »Eine meiner besten Ideen!«, sagte Hearst. »Eine ganz neue Art, Geschichten zu erzählen!«
    »So wie in alten Zeiten in Tausendundeine Nacht «, murmelte Volger.
    Alek grinste, musste jedoch zugeben, dass dieser Film eine hypnotisierende Wirkung hatte, so wie eine Geschichte, die am Kaminfeuer erzählt wird. Oder vielleicht war er einfach noch

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