GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
festgeschlungen. Sie erinnerte sich an ähnliche Fluggeräte aus dem Handbuch der Aeronautik , zum Beispiel an ein experimentelles italienisches Luftschiff.
Die Mantas waren nicht groß, sie hatten nicht einmal eine Gondel. Die Mannschaften standen in den Webeleinen auf dem Rücken und hielten Gewehre in der Hand. Als schwerste Waffen an Bord der Schiffe waren Gatling-Waffen jeweils an Heck und Bug montiert.
Von der Leviathan stieg ein Schwarm Kampffalken auf, die jedoch noch keine Angriffsformation eingenommen hatten. Die Vögel umkreisten ihr Luftschiff und bildeten einen glitzernden Ring aus Krallen.
Der Steuerbordmotor hatte aufgehört zu rauchen, und Deryn sah eine vertraute Pickelhaube aus der Kapsel ragen: Meister Klopp. Demnach spielten die Mechanistenmaschinen nicht zum ersten Mal verrückt. Seit der alte Klopp verletzt worden war, hatten die Ingenieure ihn nur noch gerufen, wenn etwas schieflief.
Die Boteneidechse kehrte zurück und sprach im barschen deutschen Ton des Meistermechanikers. »Da stimmt etwas nicht mit dem Treibstoff, Dylan. Der schmeckt komisch.«
Deryn runzelte die Stirn. Zwar hatte sie schon gesehen, wie Klopp den Finger in den Treibstoff tunkte und daran roch, doch niemals hatte sie beobachtet, dass er das Zeug schmeckte .
»Die Backbordmaschine wird ebenfalls Schaden nehmen, wenn sie weiterläuft«, fuhr die Eidechse fort. »Sagen Sie dort Bescheid, man solle den Motor abstellen.«
»Was ist denn mit dem Tierchen los?«, fragte jemand hinter ihr. »Klingt ja, als würde es Deutsch sprechen.«
Deryn seufzte und nahm die Eidechse. »Ja, Miss Rogers. Einer von Aleks Männern arbeitet dort drüben. Schließlich ist es ein Mechanistenmotor.«
»Und Sie verstehen Deutsch?«
»Einigermaßen. Ich arbeite jetzt schon seit über zwei Monaten mit Meister Klopp zusammen.«
»Was für ein hübscher Zufall! Ein deutscher Landsmann arbeitet an der Maschine, die gerade den Geist aufgegeben hat .«
»Meister Klopp ist Österreicher!«, gab Deryn zurück, schob sich an der Frau vorbei und eilte über den Buckel.
Miss Rogers folgte ihr, das Notizbuch weiterhin gezückt. »Mr. Sharp, verdächtigen Sie Mr. Francis immer noch, Sympathien für die Deutschen zu hegen? Warum ignorieren Sie die tatsächlichen Mechanisten auf Ihrem Schiff?«
Deryn winkte den Taklern zu und hoffte, einer von denen würde ihr die Reporterin vom Hals schaffen, doch die waren damit beschäftigt, in aller Eile eine Luftkanone vorzubereiten. Sie fluchte, stürmte zur anderen Seite des Buckels und setzte die Eidechse wieder ab.
»Backbordtriebwerkskapsel«, sagte sie zu ihr. »Hier spricht Kadett Sharp. Klopp sagt, Ihr Treibstoffvorrat sei nicht in Ordnung. Lassen Sie den Motor nicht unter Last laufen, solange es nicht unbedingt notwendig ist! Ende der Nachricht.«
Während sie die Eidechse losscheuchte, wurde ihr klar, dass die Ingenieure ihre Befehle nicht beachten würden, falls der Kapitän etwas anderes anordnete. Vielleicht hätte sie die Eidechse zur Brücke schicken sollen.
Miss Rogers kritzelte in ihr Notizbuch. »Treibstoffvorrat, ja?«
»Exakt.« Deryn richtete sich auf. »Das ist der Treibstoff, den wir von Mr. Hearst bekommen haben, und genau in dem Moment, in dem wir hinterrücks angegriffen werden, beschädigt das Zeug unsere Motoren! Na, wie sehr klingt das in Ihren Ohren nach Zufall?«
Miss Rogers kratzte sich die Nase mit dem Bleistift. »Schwer zu sagen.«
Deryn schaute wieder hinüber zu den mexikanischen Luftschiffen. Eins zog gerade mit der Leviathan gleich und war keine Meile mehr entfernt. Auf den Flügel wurde mit Signalflaggen eine Nachricht gewinkt.
G-R-Ü-S-S-E—A-N—D-I-E—L-E-V-I-A-T-H-A-N , entzifferte Deryn.
»Jetzt seid ihr auf einmal freundlich«, murmelte sie.
»Wer denn?«
Deryn zeigte auf die Flaggen. »Sie schicken Grüße.«
Wieder folgte ein Winkspruch, und sie las ihn der Reporterin vor.
M-O-T-O-R-P-R-O-B-L-E-M-E—W-I-R—K-Ö-N-N-E-N—H-E-L-F-E-N.
»Also, das klingt in der Tat freundlich«, sagte Miss Rogers.
Deryn runzelte die Stirn. »Vielleicht, aber ich finde, der Zufall ist schon ein bisschen ziemlich groß. Die wussten, wo sie uns finden können, und zwar in dieser brüllend großen Wüste.«
»Junger Mann, es ist ja auch ein ziemlich großes Luftschiff.«
Deryn setzte zu einer Antwort an, doch schon folgte der nächste Winkspruch. »Sie sagen, diese Luftschiffe stehen unter dem Befehl von General Villa.«
»Pancho Villa? Na, wenn das nicht praktisch
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