GOLIATH - Die Stunde der Wahrheit
übertönt, mehrfaches Läuten in schneller Folge.
Deryn runzelte die Stirn. »Das ist das Signal für ›Feindsichtung‹.«
»Was für ein Feind? Wir befinden uns über neutralem Gebiet.«
»Wohl wahr, Miss. Sie müssen mich wohl entschuldigen.« Deryn drehte sich um und war dankbar für die Gelegenheit, der Reporterin zu entkommen. Während sie zur Treppe eilte, füllte sich der Gang mit Männern, die zu ihren Gefechtsstationen liefen.
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Sie begleite?«, fragte Miss Rogers, die ihr bereits hinterherkam.
»Das geht leider nicht, Miss! Mein Posten befindet sich auf dem Rückgrat, und Passagiere müssen in der Gondel bleiben. Sie sollten in Ihre Kabine zurückkehren.«
Ohne die Antwort abzuwarten, setzte sich Deryn in Bewegung und lief den belebten Gang entlang. Da das Schiff mit voller Kraft vorausflog, konnte sie nicht an den Webeleinen hochklettern, deshalb blieb sie im Inneren. Der Wind oben würde außerdem sehr stark sein, weshalb sich dort wohl kaum viele Boteneidechsen herumtreiben würden. Deryn schnappte sich eine im Vorbeigehen und stopfte sie in die Jacke, nur für den Fall, dass sie der Brücke schnell eine Nachricht zukommen lassen musste. Schließlich schlichen deutsche Agenten an Bord des Schiffes herum, dazu standen überall Reporter, und nun war am Himmel noch ein Feind gesichtet worden.
In der Tat: neutrales Gebiet.
Die Wüste zog, gesprenkelt mit Kakteen und roten Schluchten, unten vorbei, und gelegentlich stach daraus das grüne Viereck einer Farm heraus. Bei drei Viertel Kraft voraus blieben fast fünfzig Meilen Land in der Stunde zurück, und nur der Obertakler Mr. Roland und einige seiner Männer hielten sich auf dem Rücken auf. Deryn ging halb geduckt zu ihnen hinüber, immer bereit, sich eine Webeleine zu schnappen, falls eine Böe sie umwerfen wollte.
»Kadett Sharp meldet sich zur Stelle, Sir!«
»Wir haben es vor zwanzig Minuten entdeckt. Es ist eine Art Manta-Luftschiff. Es führt die hiesigen Farben und verfügt über Mechanistenmotoren.«
Eine schlanke Silhouette mit breiten Flügeln hing am Himmel im Westen, und die Gaspontons unter den Flügeln waren rot und grün gestreift. Rauch wehte hinter ihnen her, und zwar, obwohl Mexiko eigentlich eine Darwinistenmacht war.
»Könnte das ein in Deutschland hergestelltes Schiff sein, Sir?«
»Aus dieser Entfernung kann ich das kaum beurteilen«, sagte Mr. Roland. »Aber es ist fast so schnell wie wir.«
Deryn schaute zu, wie der Schatten des mexikanischen Luftschiffs über die Wüste huschte und schätzte die Spannweite auf unter hundert Fuß. »Zu klein, um uns Schwierigkeiten zu machen. Vielleicht sind die nur neugierig, Sir.«
»Gut möglich, schließlich wagen die sich nicht besonders nah heran.« Mr. Roland runzelte die Stirn und setzte den Feldstecher an die Augen. »Ist da etwa noch eins?«
Eine zweite geflügelte Form glänzte gleich hinter dem ersten in der Sonne. Deryn schirmte die Augen ab, ließ den Blick über den Horizont gleiten und entdeckte bald ein drittes Manta-Schiff auf der Steuerbordseite.
Sie zeigte darauf. »Es geht wohl ein wenig über Neugier hinaus, Sir.«
»Vielleicht«, meinte Mr. Roland. »Aber selbst zu dritt haben sie keine Chance gegen uns.«
Deryn nickte. Eine ernsthafte Jagd in der Luft war schwierig. Tierchen oder Raketen, die von Verfolgerschiffen abgefeuert wurden, mussten sich gegen eine Windstärke von fünfzig Meilen in der Stunde vorkämpfen, während die Leviathan jederzeit ihre Kampffalken zum Einsatz bringen konnte.
Einen Moment später gingen die Motoren der Leviathan auf volle Kraft, wie man am Dröhnen hörte.
»Der Kapitän scheint die Verfolger nicht zu mögen!«, brüllte Mr. Roland über den Lärm. Sie knieten sich beide auf die Leinen, da der Wind kräftiger wurde. Trotzdem schienen die mexikanischen Luftschiffe nicht weit zurückzubleiben. Die Rauchfahnen wurden dicker und wallten wie Sturmwolken am Horizont auf.
Einer der Takler rief von hinten, und Mr. Roland drehte sich in den Fahrtwind. »Wer zum Teufel ist das?«
Deryn blickte sich um und sah eine Gestalt, die sich über das Rückgrat zu ihnen vorkämpfte. Mit der einen Hand hielt sie ihren Hut fest, und der Rock flatterte um die Beine.
»Pusteln und Karbunkel! Die Reporterin muss mir gefolgt sein! Tut mir leid, Sir. Ich kümmere mich um sie.«
»Na, dann machen Sie mal, Sharp.«
Miss Rogers hatte den Wind im Rücken und stand offensichtlich recht sicher auf den Beinen. Aber
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