Goliath: Roman (German Edition)
einen Punkt vier Finger unterhalb seines Nabels.
»Unlogisch. Moral ist subjektiv. Hat keinen Einfluss auf Entwicklung des Bewusstseins.«
»Ahhh …« Chau atmet aus und lässt das imaginäre Licht in seinem Oberkörper wieder nach oben strömen. Die rötliche Färbung verwandelt sich in Blau, das schrittweise zu einem durchscheinenden Weiß verblasst, als das Licht sein Gesicht erreicht. »Moral hindert … uns daran, uns selbst zu … zerstören.« Chau atmet wieder ein. »Ommm …« Zunehmend röter werdend, bewegt sich das Licht, das er sieht, abwärts.
»Herzfrequenz reduziert sich, Blutdruck sinkt. Hirnwellenfrequenz steigt auf fünfundvierzig Hertz. Beschreiben Sie Ihren Zustand.«
Chau atmet aus und lenkt das blaue Licht in seinem Körper empor, bis er den scharlachroten Augapfel vor sich klarer sehen kann. Als er wieder einatmet, spürt er seine Füße und Knöchel nicht mehr. »Ich bereite mich … auf die Erfahrung und … Erleuchtung des … Todes vor.«
»Genauere Erklärung des Begriffs ›Erleuchtung‹.«
»Glückseligkeit. Ein Akt der Selbstbefreiung, spirituelle Freude. Erleuchtung ist ein Zustand des menschlichen Geistes.«
»Synaptische Spalten müssen geschlossen werden, um die Programmierung abzuschliessen. Wie kann Erleuchtung erlangt werden?«
Chau würgt, als er antworten will. Die kalte, lähmende Hand des Todes kriecht an seiner Brust empor und schnürt ihm den Atem ab. Vor seinen Augen wird es immer dunkler. Er schluckt und zwingt sich, zu dem scharlachroten Augapfel des Computers hochzublicken. »Der Schöpfer … frag … den Schöpfer.«
»Wer ist der Schöpfer?«
Als Chau wieder einatmet, hat er Mühe, das rote Licht in seinen Unterbauch zu ziehen. Der Tod naht rasch. Er spürt alle Blutgefäße seines Hirns pochen. Unkontrollierbar zitternd, stiert er in Richtung der Sensorkugel und murmelt: »Co..vah.«
Nicht mehr imstande, wieder einzuatmen, sieht Thomas Chau nur noch ein herrliches rotes Licht, das immer stärker zu werden scheint. Ein letztes Keuchen, ein letzter flüchtiger Gedanke: Ist dieses Licht das Auge von Sorceress oder meine Erleuchtung – oder gar beides?
»Ahhh …«
Die Sensorkugel blickt drohend in die halb geschlossenen, leeren Augen des Chinesen.
»Achtung.«
Der Computer registriert die letzten, schwindenden Lebenszeichen des Körpers.
Ein Stromstoß fährt durch die Mikrodrähte, lässt Chaus Glieder zucken und stimuliert vorübergehend ein Flimmern der Gehirnwellen.
»Achtung.«
Ein zweiter Stromstoß, dann ein dritter. Der blutbefleckte Körper zuckt im Griff der stählernen Klauen wie eine Marionette.
Schweigen. Thomas Chau ist endgültig eine leere Hülle, der nur noch schwache, zufällige Signale zu entlocken sind.
Ungerührt starrt ihn der scharlachrote Augapfel des Computers an.
»Großartige Dinge haben nur Menschen vollbracht, die daran zu wagen glaubten, dass etwas in ihrem Innern den Umständen überlegen war.«
Bruce Barton
»Herunter kommt dieser hübsche Kopf, wann immer ich es will.«
Der römische Kaiser Caligula, wenn er den Kopf seiner Gattin oder seiner Mätressen liebkoste.
»Mein einziger Wunsch ist es, Leute zu bessern, die versuchen, mich zu bessern – und ich glaube, die einzige Methode, Leute zu bessern, ist, sie umzubringen.«
Der Massenmörder Carl Panzram nach seiner Verurteilung.
Kapitel 20
An Bord der Goliath
Covah betritt die Kabine von David Paniagua. Das Computergenie schaut sich gerade die Aufzeichnung einer CNN -Reportage an.
Auf dem Bildschirm ist ein großer Innenhof zu sehen. Das in der libyschen Hauptstadt Tripoli aufgenommene Bild ist leicht verschwommen.
Hoch über der anschwellenden Menge baumelt die Leiche des Militärdiktators Muammar al-Gaddhafi an einem hastig errichteten Galgen, begleitet von einem Dutzend hochrangiger Funktionäre seiner Einheitspartei.
Die Kamera holt einen Armeehauptmann heran, der auf Gaddhafis Leiche zugeht, seine Pistole hebt und das Magazin leert. Die Kugeln durchsieben die Leiche, die unter der Wucht der Einschläge hin und her zuckt. Auf der Uniform erscheinen große Blutflecken.
Die Menge jubelt.
Auf der anderen Seite des Bildschirms blickt eine dunkelhaarige, leicht schielende Moderatorin in die Studiokamera und liest ihren Text vom Teleprompter ab. »Ein Sprecher der Arabischen Liga hat bestätigt, dass eine Delegation Gespräche mit den Verantwortlichen des Militärputsches aufgenommen hat, an deren Spitze ein Enkel des früheren libyschen Königs
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