Goliath: Roman (German Edition)
voraus.«
An Bord der Goliath
Rocky folgt Gunnar in den Fitnessraum. »Willst du jetzt etwa trainieren?«, fragt sie.
»Nein, bloß kurz ins Dampfbad. Kommst du mit?« Die beiden gehen an einer Reihe von Maschinen vorbei nach hinten. Während sie sich rasch ausziehen und in Handtücher wickeln, achten sie darauf, keinen Blick auf den roten Augapfel an der Decke zu werfen.
Als sie ins Dampfbad kommen, sitzen Trevedi und Kaigbo bereits in der Kabine. Ihre Körper glänzen vor Schweiß. Die Feuchtigkeit hat die Glastüren beschlagen lassen, sodass der draußen montierten Kamera der Blick verwehrt ist.
Gunnar lässt sich gegenüber des langen Afrikaners, der seine Prothesen vor der Tür gelassen hat, nieder. Durch den Dampf sieht man die knotigen Stummel am Ende seiner Ellbogen.
Trevedi legt einen Finger an die Lippen, dann deutet er auf ein kleines Mikrofon an der gekachelten Decke. »Ich habe Abdul gebeten, dabei zu sein. Ich glaube, er kann Ihnen eine andere Sicht auf die Dinge vermitteln, die Sie in Afrika erlebt haben.«
Kaigbo beugt sich vor und schaut Gunnar mit seinen gelblichen Augen an. Schweiß strömt ihm über das Gesicht. »Sie sind ein Soldat, den man zum Töten ausgebildet hat. Damit will ich nicht sagen, dass Sie gerne töten, nur dass man Ihnen beigebracht hat, es zu tun, wenn man es Ihnen befiehlt. Ich glaube, die meisten Menschen verabscheuen Gewalt, aber es gibt auch eine Minderheit, die sichtlich darin schwelgt. Damit meine ich nicht jene religiösen Fanatiker, deren verzerrte Auslegung des Koran ihnen scheinbar die Erlaubnis gibt zu morden; ich spreche von paramilitärischen Kämpfern, für die das Töten zum Lebenszweck geworden ist. Von solchen Männern werden Bürgerkriege und Revolutionen angezettelt und weitergeführt. Sie halten sich nicht an soldatische Regeln, und die Gesetze der Gesellschaft sind ihnen völlig gleichgültig. Die meisten von ihnen sind auf der Straße aufgewachsen, arm und ohne jede Schulbildung. Krieg und Verbrechen verschaffen ihnen Geld und ein Selbstwertgefühl, das die Gesellschaft ihnen nie bieten könnte. Sie haben keinerlei Interesse an Frieden. Tritt dieser doch ein, ziehen sie zu anderen Schlachtfeldern weiter. Zurück bleiben ganze Generationen von Kindern, die zu gewalttätig sind, als dass man sie wieder in die Gesellschaft eingliedern könnte.«
»Ein Menschenleben bedeutet diesen Sadisten nicht das Geringste«, fügt Trevedi hinzu. »Sie haben ein Drittel meiner Landsleute gefoltert und umgebracht. In Ruanda haben sie eine halbe Million Tutsis abgeschlachtet – und hatten daran offenbar ihren Spaß.«
»Das Töten berauscht sie«, sagt Kaigbo. »Ich hab’s mit eigenen Augen gesehen.«
Gunnar nickt. »Die einzige Möglichkeit, mit solchen Bestien umzugehen, ist, sie mit einer Übermacht zu überrollen, aber dazu ist meine Regierung nicht bereit. Stattdessen schickt man eine Handvoll Soldaten wie mich, um ein paar Punkte bei der jeweiligen Regierung zu machen, die meist genauso gewalttätig ist wie die Rebellen. Gewinnen kann man dabei nichts.«
»Trotzdem verfolgt Sie die Erinnerung an das, was Sie getan haben«, sagt Trevedi. »Sie haben ungeheure Schuldgefühle, weil Sie damals auch Kinder töten mussten.«
Rocky sieht, dass Gunnars Hände zittern.
»Hören Sie, ich merke schon, worauf Sie hinauswollen, aber ich kann … ich komme einfach nicht darüber hinweg. Wenn ich doch damals einfach in die Luft geschossen hätte, um die Jungen zu verscheuchen …«
Rocky berührt ihn am Arm. »Du hast so reagiert, wie die Army dich ausgebildet hat. Du musst endlich aufhören, dir Vorwürfe zu machen.«
»Sie hat recht«, sagt Kaigbo. »Es waren Bestien, deretwegen ich meine ganze Familie verloren habe. Sie haben mich verstümmelt und meine Kinder verschleppt. In mir steckt eine Wut, die kein Mensch je fühlen sollte, aber selbst wenn es mein Sohn gewesen wäre, den Sie getötet hätten, wäre ich nicht wütend auf Sie. Verstehen Sie, was ich sagen will? Im Herzen weiß ich, dass Sie kein Mörder sind. Sie sind ein Opfer … wie meine Kinder, wie wir alle. Mag sein, dass Sie sich nie vergeben werden, aber als Vater vergebe ich Ihnen.«
Gunnar muss schlucken.
Kaigbo senkt seine Stimme zu einem Flüstern. »Nun aber klebt an unser aller Hände frisches Blut, und dabei wird es nicht bleiben. Deshalb bitte ich Sie, uns dabei zu helfen, dieser sinnlosen Gewalt ein Ende zu machen. Es ist an der Zeit, kein Opfer mehr zu sein. Wir müssen handeln.«
Gunnar
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