Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
zum offenen Schlagabtausch zwischen den Bidognetti und den Schiavone kommen. Jahrelang hatte die Konfrontation im Verborgenen geschwelt, indirekt ausgetragen mittels verbündeter Clans, aber letztlich hatten die gemeinsamen Geschäftsinteressen die Differenzen in den Hintergrund treten lassen. Die Bidognetti verfügen über bestens gefüllte Waffenlager. Ihr Territorium, der Norden der Provinz Caserta, reicht bis an die Costa Domizia. In einem Akt ungeheurer Brutalität hatten sie in Castelvolturno den Barbesitzer Francesco Salvo bei lebendigem Leib verbrannt. Salvo war Besitzer des Tropicana, wo er auch arbeitete; er hatte es gewagt, die Videopoker-Geräte der Bidognetti gegen die eines rivalisierenden Clans auszutauschen. Die Mezzanotte hatten eine Phosphorbombe auf Gabriele Spenuso abgefeuert, während er in seinem Wagen von Nola nach Villa Literno fuhr. Im Jahr 2001 hatte Domenico Bidognetti die Ermordung Antonio Magliulos in Auftrag gegeben, der es als verheirateter Mann gewagt hatte, sich an die
Cousine eines der Bosse heranzumachen. Sie banden ihn am Strand auf einem Stuhl fest und füllten ihm Mund und Nasenlöcher mit Sand. Nach Luft schnappend, schluckte Magliulo Sand und würgte beim Versuch, den Sand aus Mund und Nase herauszubekommen. Er erbrach sich, schluckte noch mehr Sand und warf den Kopf hin und her. Der Sand vermischte sich mit Spucke, so daß eine Art primitiver Zement entstand, eine zähflüssige Masse, an der er qualvoll erstickte. Die Grausamkeit der Mezzanotte war direkt proportional zu ihrer unternehmerischen Macht. Die Bidognetti, die im Kreislauf der Abfallentsorgung mitmischten, standen nach den Ermittlungen der Antimafia-Staatsanwaltschaft Neapel aus den Jahren 1993 und 2006 in einem Bündnis mit der verschwörerischen Freimaurerloge P2. Sie entsorgten illegal und zu einem ausgesprochen günstigen Preis den Giftmüll von Unternehmen, die mit der Loge verbunden waren. Gaetano Cerci, Neffe von Cicciotto di Mezzanotte, der im Zuge der gegen die Umweltmafia gerichteten Operation »Adelphi« verhaftet wurde, fungierte als Kontaktmann zwischen der casalesischen Camorra und einigen Logenmitgliedern und traf sich zu geschäftlichen Besprechungen sehr oft direkt mit Licio Gelli, dem geheimen Chef der Loge. Dieses illegale Müligeschäft mit einem geschätzten Finanzvolumen von über fünfunddreißig Millionen Euro wurde den Fahndern zufolge von einer einzigen Firma abgewickelt. Die Bosse Bidognetti und Schiavone, beide hinter Gittern, beide zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, hätten die Verurteilung des jeweils anderen dazu nutzen können, ihre Leute aufeinanderzuhetzen, um den rivalisierenden Clan zu eliminieren. Und kurzzeitig sah es tatsächlich so aus, als würde in einem blutigen Gemetzel mit Unmengen von Toten das ganze System in sich zusammenstürzen.
Im Frühjahr 2005 nahm Sandokans jüngster Sohn in Parete, auf dem Territorium der Bidognetti, an einem Fest teil, wo er, so die Ermittler, einem Mädchen den Hof machte, das bereits liiert war. Schiavones Sprößling war ohne Geleitschutz gekommen und hielt sich aufgrund der Tatsache, daß er Sando-kans Sohn war, für unangreifbar. Doch es kam anders. Man zerrte ihn aus dem Haus und traktierte ihn mit Ohrfeigen, Fausthieben und Fußtritten in den Hintern; anschließend mußte er ins Krankenhaus, um am Kopf genäht zu werden. Am nächsten Tag erschienen fünfzehn Leute mit Motorrädern und Autos vor der Bar Penelope, dem Stammlokal der Leute, die Sandokans Sohn zusammengeschlagen hatten. Mit Baseballschlägern zertrümmerten sie die Einrichtung und schlugen wahllos die Gäste blutig, ohne diejenigen ausfindig zu machen, die für die Beleidigung Schiavones verantwortlich waren; sie hatten sich vermutlich durch einen Hinterausgang abgesetzt. Das Kommando verfolgte sie und feuerte auf offener Straße ein Dutzend Schüsse ab, dabei wurde ein Passant in den Unterleib getroffen. Am Tag darauf fuhren drei Motorräder vor dem Cafe Matteotti in Casal di Principe vor, wo sich die jüngeren Mitglieder des Schiavone-Clans trafen. Die Motorradfahrer ließen sich Zeit beim Absteigen, um den Passanten die Möglichkeit zu geben, sich in Sicherheit zu bringen, und schlugen dann ihrerseits alles kurz und klein. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen, mehr als sechzehn Personen wurden mit Messerstichen verletzt. Die Atmosphäre war geladen, ein neuer Krieg lag in der Luft.
Geschürt wurde der Konflikt durch eine unerwartete Erklärung des
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