Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
für Erdaushub. Das mit Abstand mächtigste. Eine wirtschaftliche Vormachtstellung, die nicht aus unmittelbar kriminellen Aktivitäten erwachsen ist, sondern aus der Fähigkeit resultiert, legale und illegale Kapitalströme zu vereinen.
Diese Firmen treten als knallharte Wettbewerber auf. Sie verfügen über kriminelle Kolonien in der Emilia und der Toskana, in Umbrien und in Venetien, wo amtliche Genehmigungen leichter zu bekommen sind und die Antimafia-Kontrollen weniger streng gehandhabt werden, so daß praktisch ganze Betriebsbereiche dorthin ausgelagert werden können. Anfangs verlangten die Casalesen nur Schutzgelder von den kampanischen Unternehmen im Norden, heute beherrschen sie den Markt direkt. In den Provinzen Modena und Arezzo wird ein Großteil des Bausektors von den Casalesen kontrolliert, die ihre Arbeitskräfte vorwiegend aus der Provinz Caserta beziehen.
Die laufenden Untersuchungen zeigen, daß die mit dem casalesischen Clan verbundenen Unternehmen wie zuvor schon im Süden jetzt zunehmend auch in Norditalien beim Bau von Hochgeschwindigkeitstrassen der Bahn mitmischen. Nach Ermittlungen unter Leitung des Richters Franco Imposimato vom Juli 1995 gaben die großen Unternehmen, die den Auftrag zum Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Neapel-Rom erhalten hatten, die Ausführung der Arbeiten an Edilsud weiter, eine Firma, hinter der Michele Zagaria steckt, sowie an Dutzende weitere Firmen, die mit dem casalesischen Kartell verbunden sind. Der Bau der Hochgeschwindigkeitsstrecke Neapel-Rom erbrachte rund zehntausend Milliarden Lire Gewinn.
Nach Erkenntnissen der Fahnder war der Zagaria-Clan bereits mit den kalabresischen ‘ndrine übereingekommen, die eigenen Firmen an den Aufträgen zu beteiligen, sollte die Trasse bis Reggio Calabria weitergeführt werden. Die Casalesen stehen bereit, damals wie heute. Laut Ermittlungen der Antimafia-Staatsanwaltschaft Neapel aus den letzten Jahren hatte die Gruppe von Casapesenna, auch sie Teil des casalesischen Kartells, etliche öffentliche Bauaufträge in Mittel- und Norditalien an sich gezogen, so zum Beispiel beim Wiederaufbau Umbriens nach dem Erdbeben 1997. Die Camorra-Firmen aus Aversa und Umgebung können bei jedem großen Bauauftrag mithalten und jede Großbaustelle in allen Phasen organisatorisch beherrschen: Verleih von Maschinen und Baugerät,
Erdarbeiten wie Aushub und Aufschüttungen, Transport, Betonzuschlag (Sand und Kies), Bereitstellung von Arbeitskräften.
Diese Firmen sind einsatzbereit: gut organisiert, kostengünstig, schnell und effizient. In Casal di Principe gibt es offiziell fünfhundertsiebzehn Baufirmen, viele davon unmittelbar im Besitz des Clans. Hunderte weitere Baufirmen befinden sich im Umland - ein ganzes Heer, bereit, alles mit Zement zuzupflastern. Man kann nicht sagen, die Clans hätten die Entwicklung des Territoriums behindert, vielmehr haben sie die Gewinne in die eigenen Kassen gelenkt. Auf einer Fläche von wenigen Quadratkilometern wurden in den letzten fünf Jahren gewaltige Konsumtempel aus Zement gebaut: eines der größten Multiplex-Kinos Italiens in Marcianise, das größte Einkaufszentrum Süditaliens in Teverola, das größte Einkaufszentrum Europas gleichfalls in Marcianise - alles in einer Region mit extrem hoher Arbeitslosigkeit und ständiger Abwanderung. Riesige Agglomerate, keine Nicht-Orte (non-lieux), wie der Anthropologe Marc Auge sagen würde, sondern Ursprungsorte - Supermärkte, in denen alles, was gekauft und konsumiert werden kann, dazu dient, illegal erworbenes Kapital umzuetikettieren. Ursprungsorte respektabel verdienten Geldes, gleichsam Stätten eines offiziellen Taufakts. Je mehr Einkaufszentren gebaut, Baustellen errichtet, Waren angeliefert, Zulieferer tätig werden und je mehr Transporte eintreffen, desto schneller tritt der Geldstrom aus dem illegal ausgehobenen Bett und fließt fortan frei und ungehindert durch legales Territorium.
Die Clans sind die Nutznießer der strukturellen Entwicklung der Provinz und stehen bereit, sich ihren Anteil an der Beute zu holen. Ungeduldig warten sie auf die großen Bauaufträge in ihrem Territorium: den Bau der U-Bahn von Aversa und des Flughafens von Grazzanise, der als einer der größten Europas unweit der Landgüter entstehen soll, die im Besitz von Cicciariello und Sandokan waren.
Die Vermögenswerte der Casalesen liegen in der ganzen
Provinz verstreut. Allein das in den letzten Jahren von den Antimafia-Behörden Neapels beschlagnahmte
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