Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
di Lauro hat es geschafft, direkt mit den südamerikanischen Kartellen zusammenzuarbeiten und durch ein Bündnis mit den albanischen Kartellen ein riesiges Vertriebsnetz aufzuziehen. Der Drogenhandel verläuft in den letzten Jahren auf ganz bestimmten Routen. Kokain kommt aus Südamerika nach Spanien und wird dort entweder direkt abgeholt oder von Albanien aus auf dem Landweg weiterverteilt. Heroin dagegen kommt aus Afghanistan über Bulgarien, den Kosovo und Albanien; Haschisch und Marihuana werden aus dem Maghreb über die Türkei und Albanien nach Europa geleitet. Di Lauro hatte sich direkte Kontakte zu den Herkunftsländern für alle Drogen verschafft und sich in mühseliger Kleinarbeit ein richtiggehendes Unternehmen im Leder- und Drogenhandel aufgebaut. 1989 gründete er die bekannte Firma Confezioni Valent di Paolo Di Lauro & Co., die nach ihren Statuten bis 2002 bestehen sollte, im November 2001 jedoch auf richterlichen Beschluß aufgelöst wurde. Die Valent hatte den Zuschlag für die Errichtung von Cash-and-carry-Märkten in ganz Italien erhalten. Das im Handelsregister deklarierte Aufgabenfeld des Unternehmens reichte vom Möbel- und Textilhandel über Verpackung und Vertrieb von Fleisch bis zum Handel mit Mineralwasser. Die Valent belieferte zahlreiche öffentliche und private Einrichtungen mit Fertigmenüs und unterhielt Schlachtbetriebe für alle Arten von Fleisch. Ferner sah die Beschreibung des Aufgabenfeldes der Valent di Paolo Di Lauro die Errichtung von Hotels, Restaurant- und Schnellrestaurantketten vor und von allem, was »für die Freizeitgestaltung in Frage kommt«. Außerdem hieß es: »Die Gesellschaft kann Grundstücke kaufen, direkt oder indirekt Gebäude für Einkaufszentren oder Wohnhäuser errichten.« Die Firma wurde 1993 von der Gemeinde Neapel zugelassen und von Di Lauras Sohn Cosimo geleitet. Paolo Di Lauro stieg aus Gründen, die etwas mit dem Clan zu tun hatten, 1996 aus und überschrieb seine Gesellschaftsanteile an seine Frau Luisa. Die Di Lauro wurden durch harte Arbeit zur Dynastie. Luisa gebar zehn Kinder und ließ wie die Matronen der großen italienischen Industrie die Nachkommenschaft im Gleichschritt mit dem wirtschaftlichen Erfolg ihres Unternehmens wachsen. Alle Söhne wurden Teil des Clans: Cosimo, Vincenzo, Ciro, Marco, Nunzio, Salvatore, und dann kamen die noch Minderjährigen. Paolo Di Lauro investierte anscheinend besonders gern in Frankreich, denn er besaß Geschäfte in Nizza, aber auch in Paris, in der Rue Charenton 129, und in Lyon am Quai Perrache 22. Er wollte durch seine Geschäfte die italienische Mode in Frankreich bekannt machen, sie sollte auf seinen Lastern ins Land rollen, um auf den Champs Ely-sees den Duft der Macht aus Scampia zu verbreiten.
Doch in Secondigliano bekam das Imperium der Di Lauro Risse. Es war schnell gewachsen, und seine Bestandteile hatten sich ziemlich unabhängig voneinander entwickelt, auf dem Drogenmarkt verschlechterte sich das Klima. In Scampia hoffte man noch, alles wie beim letztenmal lösen zu können. Bei einem Glas hatte noch jede Krise eine Lösung gefunden. Diesmal war es ein ganz besonderes Getränk, als Domenico, einer von Di Lauros Söhnen, nach einem schweren Unfall im Krankenhaus lag. Domenico war ein rebellischer junger Mann. Die Söhne der Bosse entwickeln häufig eine Art Allmachtsphantasie und glauben, nach Gutdünken über ganze Städte und ihre Einwohner herrschen zu können. Nach den Ermittlungen der Polizei hatte Domenico mit seinen Bodyguards und einer Gruppe von Freunden im Dezember 2003 das Städtchen Casoria angegriffen, Fenster eingeschlagen, Garagen zerstört, Autos und Müllcontainer in Brand gesetzt, Haustüren mit Spray verschandelt und Gegensprechanlagen mit dem Feuerzeug unbrauchbar gemacht. Mit dem diplomatischen Geschick, mit dem man in der Familie wiedergutmacht, was die Kinder angerichtet haben, kam sein Vater in aller Stille für die Schäden auf, ohne jedoch das eigene Ansehen zu beschädigen. Dann verlor Domenico bei hoher Geschwindigkeit in einer Kurve die Kontrolle über sein Motorrad und erlag nach einigen Tagen im Krankenhaus den schweren Verletzungen, die er sich bei dem Sturz zugezogen hatte. Dieses tragische Ereignis führte zu einem Gipfeltreffen, einer Bestrafung und zugleich zu einer Amnestie. In Scampia kennt jeder diese Geschichte, eine Legende, vielleicht frei erfunden, aber wesentlich, um zu verstehen, wie innerhalb der Dyna mik en der Camorra Konflikte beigelegt werden.
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