Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
von Antonio Di
Fraia, genannt »‘u urpacchiello«, ein neapolitanisches Wort für eine Reitpeitsche aus getrocknetem Eselspenis. Carmine Di Girolamo wird » ‘o sbirro« (der Bulle) genannt, weil er Polizisten und Carabinieri für sich arbeiten läßt. Ciro Meriso ist aus welchen Gründen auch immer »‘o mago« (der Zauberer). Pasquale Gallo aus Torre Annunziata hat ein hübsches Gesicht und heißt deshalb »‘o bellillo« (Schönling), die Lo Russo sind die »capitoni« (die Aale), die Mallardo die »Carlantoni« (die Karlantons), die Belforte die »Mazzacane«, die Piccolo die »Quaquaroni« (Schwätzer), alles schon von der Familie ererbte Namen. Vincenzo Mazzarella galt als »‘opazzo« (der Verrückte) und Antonio Di Biasi als »pavesino«, weil er bei militärischen Operationen immer eine Schachtel Pavesi-Kekse dabei hatte. Domenico Russo, Boss der neapolitanischen Quartieri Spagnoli, hatte seinen Beinamen »Mimi dei cani« (Mimi von den Hunden) daher, daß er als kleiner Junge an der Via Toledo Welpen verkauft hatte. Antonio Carlo D’Onofrio, »Carluccciello ö mangiavatt« (Karlchen Katzenfresser) soll bei seinen Schießübungen streunende Katzen als Zielscheibe gewählt haben. Gennaro Di Chiara, der es nicht ertragen konnte, im Gesicht berührt zu werden, hieß »file scupierto« (offene Stromleitung). Manche Namen sind einfach Lautmalereien wie »picc pocc« für Agostino Tardi, »scipp scipp« für Domenico di Ronza, »quaglia quaglia« für die Fa mili e De Simone, »zig zag« für die Aversano, »‘o zui« für Raffaele Giuliano und »zuzui« für Antonio Bifone.
Nur weil Antonio Di Vicino häufig eine Zitronenlimonade bestellte, wurde er »lemon« genannt, Vincenzo Benitozzi verdankte seinem rundlichen Gesicht den Spitznamen »Ciccio-bello« (Puppe), Gennaro Lauro war vielleicht wegen seiner Hausnummer »‘o diciasette« (siebzehn), Giovanni Apreas Großvater spielte 1974 in Pasquale Squitieris Film I guappi (Die Rache der Camorra) den alten Camorristen, der die guappi, den Nachwuchs der Camorra, im Messerwerfen trainierte, und deshalb wurde er zu »punt ‘e curtiello« (Messerspitze).
Manche Beinamen bedeuten für einen Boss auch in den
Medien Erfolg oder Mißerfolg, wie der berühmte Francesco Schiavone, besser bekannt unter dem furchteinflößenden Pseudonym Sandokan, weil er Kabir Bedi, dem Darsteller von Salgaris Helden, verblüffend ähnelte. Pasquale Tavoletta hieß Zorro nach dem Schauspieler, der Zorro im Fernsehen verkörpert hatte, und Luigi Giuliano war »‘o re« (der König) oder auch Lovigino in Anlehnung daran, daß seine amerikanischen Geliebten ihm zärtlich ins Ohr flüsterten »I love you, Luigino«. Sein Bruder Carmine hieß »‘o lione« (der Löwe) und Francesco Verde trug wegen seiner hieratischen Haltung und seiner langen Herrschaft als Boss den äthiopischen Kaisertitel »‘o negus«. Mario Schiavone hieß nach dem berühmten äthiopischen Staatsoberhaupt, das sich den italienischen Truppen entgegengestellt hatte, »Menelik«, und Vincenzo Carobene machte seine erstaunliche Ähnlichkeit mit dem Sohn des libyschen Revolutionsführers zu »Gaddhafi«. Der Boss Francesco Bidognetti ist bekannt als »Cicciotto di Mezzanotte« (Mitternachtsfranz), entweder weil er dafür sorgte, daß jedem, der es wagte, sich seinen Plänen zu widersetzen, schwarz vor den Augen wurde, selbst am frühen Morgen, oder aber, so behaupten andere, weil er seine Karriere als Zuhälter begonnen hatte. Der ganze Clan wird als »Clan der Mezzanotte« bezeichnet.
Fast alle Bosse haben einen Spitznamen: er macht sie einzigartig und gibt ihnen eine Identität, er ist vergleichbar mit den Wundmalen eines Heiligen und der Ausweis für die Zugehörigkeit zum System. Jeder kann Francesco Schiavone sein, aber nur einer wird Sandokan genannt; Carmine Alfieri ist ein Allerweltsname, aber nur einer dreht sich um, wenn man ihn mit »‘o ‘ntufato« anspricht, nur Francesco Verde wird auf »‘o negus« reagieren, und auch Paolo Di Lauro ist nichts Besonderes, einzigartig aber ist »Ciruzzo ‘o millionario«.
Ciruzzo hatte beschlossen, seine Geschäfte in aller Stille abzuwickeln, geschützt durch eine engmaschige militärische Struktur, die aber selten zum Einsatz kam. Als Boss war er lange Zeit sogar der Polizei unbekannt. Bevor er untertauchen mußte, war er nur einmal mit der Staatsanwaltschaft in Berührung gekommen, als sein Sohn Nunzio einen Lehrer angriff, der es wagte, ihn zu rügen. Paolo
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