Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
Vom Netzwerk:
Pasquale nicht mehr als Schneider arbeitete, informierte er mich über den Stand der Dinge in der Gegend, die sich schnell veränderten, so schnell, wie die Kapital- und Finanzströme ihre Richtung wechseln.
    Ich fuhr mit meiner Vespa im Norden von Neapel herum. Mir gefällt vor allem das Licht in und um Secondigliano und Scampia. Riesige breite Straßen und viel Luft im Gegensatz zu dem Gassengewirr in der Altstadt von Neapel, als ob unter dem Teer, neben den Mietskasernen noch offenes Feld läge. Im übrigen trägt Scampia dies im Namen. Scampia ist ein heute vergessenes Wort des neapolitanischen Dialekts und bedeutet Brachland. Darauf wurde seit Mitte der sechziger Jahre ein ganzer Ort hochgezogen und die berüchtigten Häuserblocks, die, weil sie von fern an Segel erinnern, »Vele« heißen. Sie sind das verrottete Symbol des architektonischen Irrsinns oder vielleicht eine Utopie aus Zement. Dem Aufbau des Drogengeschäfts, das sich im Sozialgefüge dieser Gegend einnistete, hatte sie nichts entgegenzusetzen. Chronische Arbeitslosigkeit und das vollständige Fehlen von Wirtschaftsund Sozialprogrammen haben dafür gesorgt, daß hier tonnenweise Drogen gelagert werden können. Hier wird erprobt, wie sich die damit erzielten Gewinne in den Strom der normalen Wirtschaft zurückführen lassen. Secondigliano ist die abschüssige Bahn in die Illegalität, von der aus die legale Wirtschaft mit Sauerstoff versorgt wird. 1989 schrieb eine Stiftung zur Überwachung der Camorra in einer ihrer Publikationen, daß im Norden von Neapel mit der höchste Prozentsatz von Dealern im Verhältnis zur Bevölkerung in ganz Italien anzutreffen sei. Fünfzehn Jahre später ist daraus der höchste Prozentsatz von Europa und der fünfte Platz weltweit geworden.
    Mit der Zeit kannte man mein Gesicht, und für die Schmieresteher des Clans war ich ein Neutrum. In jedem streng überwachten Territorium gibt es negative Werte - Polizisten, Carabinieri, eingeschmuggelte Mitglieder rivalisierender Clans - und positive Werte: die Käufer. Alles, was weder unerwünscht ist noch stört, ist neutral, unnütz. Zu dieser Kategorie zu gehören heißt, nicht existent zu sein. Die Orte, wo gedealt wird, haben mich wegen ihrer perfekten Ordnung, die der gewöhnlichen Lesart widerspricht, daß hier alles heruntergekommen sei, stets fasziniert. Der Mechanismus des Dealens ähnelt einem Uhrwerk, und die Individuen bewegen sich darin wie Zahnräder. Jede Bewegung löst eine andere aus. Das zu beobachten fasziniert mich jedes Mal. Die Dealer werden wöchentlich entlohnt, hundert Euro für die Posten, fünfhundert für den Koordinator und Kassierer eines bestimmten Drogenmarktes, achthundert für jeden Pusher und tausend für diejenigen, die die Lager verwalten und die Drogen bei sich zu Hause aufbewahren. Die Schichten gehen von drei Uhr nachmittags bis Mitternacht und von Mitternacht bis vier Uhr morgens. Am Vormittag wird kaum gedealt, weil zu viel Polizei unterwegs ist. Jeder hat einen Ruhetag, und wer zu spät zur Arbeit erscheint, dem werden pro Stunde fünfzig Euro von seinem Wochenlohn abgezogen.
    In der Via Baku blüht der Handel. Die Kunden kommen, zahlen, erhalten die Ware und verschwinden. Manchmal warten Autoschlangen hinter den Dealern. Vor allem am Samstagabend. Dann müssen Pusher von anderen Stellen als Verstärkung geholt werden. In der Via Baku wird im Monat eine halbe Million Euro umgesetzt, die Drogenfahndung geht davon aus, daß im Durchschnitt täglich vierhundert Dosen Marihuana und ebensoviel Kokain verkauft werden. Wenn die Polizei auftaucht, wissen die Dealer, in welchen Häusern sie sich und die Ware verstecken müssen. Wenn sich die Polizeiautos dem Drogenmarkt nähern, setzt sich fast immer ein Auto oder Moped davor, um die Fahrt zu verlangsamen und den Schmierestehern Gelegenheit zu geben, die Dealer mit dem Motorrad wegzuschaffen. Häufig sind die Wachposten nicht vorbestraft und tragen nicht einmal Waffen, so daß sie kaum Gefahr laufen, angezeigt zu werden. Wenn Pusher verhaftet werden, greift man auf die Reserve zurück, meist Drogenabhängige oder regelmäßige Kunden, die sich bereit erklärt haben, im
    Notfall einzuspringen. Für jeden verhafteten Pusher wird ein anderer benachrichtigt, der sofort auf den Plan tritt. Das Geschäft muß weitergehen. Auch in kritischen Momenten.
    In der Via Dante wird ebenfalls viel Geld umgesetzt. Hier sind alle Pusher blutjung, hier blüht das Geschäft, dieser Umschlagplatz wurde von den Di

Weitere Kostenlose Bücher