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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Umfang Drogen lagerte und vertrieb. Ob man bei den Lieferanten günstig einkaufen kann, hängt wesentlich davon ab, wieviel man zu lagern vermag, und dafür eignet sich der Zementdschungel von Secondigliano mit seinen hunderttausend Einwohnern ausgezeichnet. Die Menschen selbst, ihre Häuser und ihr alltägliches Leben verwandeln sich in die große Mauer, die die Lager der Drogen umschließt. Besonders Case Celesti hat wesentlich zum Preissturz des Kokains beigetragen. Normalerweise rechnet man von fünfzig bis siebzig Euro bis höchstens hundert oder zweihundert Euro pro Gramm. Bei gleichbleibend hoher Qualität ist der Preis hier auf fünfundzwanzig bis maximal fünfzig Euro gesunken. Die Untersuchungsergebnisse der Antimafia-Einheit zeigen, daß Genny McKay zu einem der mächtigsten Drogenunternehmer Italiens aufgestiegen ist und sich in einem Markt durchgesetzt hat, der expandiert wie kein anderer. Die Organisation der Umschlagplätze hätte auch am Posillip in Neapel, im Parioli-Viertel in Rom oder im Brera-Viertel in Mailand stattfinden können, aber sie hat hier in Secondigliano stattgefunden. Die Arbeitskräfte an jedem anderen Ort hätten sehr viel mehr gekostet. Hier senkt der Mangel an Arbeitsplätzen und die Unmöglichkeit, eine andere Lebensperspektive als die Auswanderung zu finden, die Löhne auf ein Minimum. Das ist das ganze Gehei mn is, und es ist sinnlos, eine Soziologie der Armut oder eine Metaphysik des Ghettos zu bemühen. Eine Gegend, in der dreihundert Millionen Euro im Jahr von einer einzigen Familie umgesetzt werden, kann kein Ghetto sein. Ein Territorium, in dem Dutzende von Clans agieren und Profite erzielen, die nur mit dem Staatshaushalt zu vergleichen sind. Bei dieser Arbeit muß alles genau stimmen, die verschiedenen Phasen des Geschäfts treiben den Preis in die Höhe. Ein Kilo Kokain kostet beim Produzenten tausend Euro, beim Großhändler schon dreißigtausend. Aus dreißig Kilo werden nach dem ersten Verschnitt hundertfünfzig mit einem Marktwert von ungefähr fünfzehn Millionen Euro. Und wenn mehr als um das Dreifache gestreckt wird, kann man bis zu zweihundert Kilo herausholen. Der Verschnitt spielt eine große Rolle, wobei dem Rohstoff Koffein, Glukose, Mannit, Paracetamol, Xylocain, Benzocain oder Amphetamine beigemischt werden. Aber auch Talkum und Kalk für Hunde, wenn nichts anderes zur Hand ist. Der Verschnitt bestimmt die Qualität, schlecht gestrecktes Rauschgift bedeutet Tod, Polizei, Verhaftungen. Es verstopft die Arterien des Geschäfts.
    Auch in dieser Hinsicht sind die Clans von Secondigliano allen anderen weit voraus, und dieser Vorsprung hat sich als wertvoll erwiesen. Dafür gibt es die Visitors: die Heroinsüchtigen. Diesen Namen tragen sie nach einer Fernsehserie der achtziger Jahre, deren Protagonisten Ratten verspeisten und unter einer scheinbar menschlichen Haut grünliche, schleimige Schuppen verbargen. In Secondigliano benützt man die Visitors als Versuchskaninchen, als menschliche Versuchskaninchen, um die Verschnitte auszuprobieren. Um herauszufinden, ob ein Verschnitt schädlich ist, welche Reaktionen er hervorruft, wie weit man das Pulver strecken kann. Wenn die »Zuschneider« viele Versuchskaninchen brauchen, werden die Preise gesenkt. Von zwanzig Euro für die Dosis gehen sie bis auf zehn herunter. Das spricht sich herum, und die Heroinsüchtigen kommen für ein paar Gramm sogar aus den Marken und aus Lukanien. Der Markt für Heroin bricht zusehends zusammen. Die Zahl der Heroinabhängigen geht immer mehr zurück. Sie sind verzweifelt. An allen Gliedern zitternd, steigen sie in Busse, nehmen mehrfaches Umsteigen mit der Bahn in Kauf, fahren nachts, machen Autostop und gehen kilometerweit zu Fuß. Aber das billigste Heroin in ganz Europa ist jede Anstrengung wert. Die »Zuschneider« der Clans empfangen die Visitors, schenken ihnen eine Dosis und warten dann ab. In einem von der Staatsanwaltschaft Neapel abgehörten Telefongespräch, das für die Ausstellung eines Haftbefehls als Beweismaterial diente, unterhalten sich zwei Personen über einen Test für den Verschnitt eines Rauschmittels an menschlichen Versuchskaninchen. Zunächst rufen sie sich zusammen, um das Experiment zu organisieren:
    »Nimmst du fünf T-Shirts weg ... für die Allergieproben?«
    Nach einer Weile rufen sie sich wieder an:
    »Hast du das Auto ausprobiert?«
    »Ja ...«
    Damit ist offensichtlich gemeint, ob der Test stattgefunden hat:
    »Ja, ehrlich, echt super, Bruder, wir

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