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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Lauro erst vor kurzem eingerichtet. Dann gibt es noch im Viale della Resistenza den alten Markt für Heroin, aber auch für das in Neapel als Dow-ner entwickelte Cobret und Kokain. Die Verantwortlichen für den jeweiligen Umschlagplatz haben richtiggehende Büros, in denen sie die Überwachung des Territoriums organisieren. Die Schmieresteher berichten über Handy, was passiert. Der Koordinator hat bei den Gesprächen ein Headset auf und eine Karte vor sich, so daß er die Ortsveränderungen der Polizei und der Kunden mitverfolgen kann.
    Der Clan Di Lauro hat neu eingeführt, daß in Secondigliano auch der Kunde geschützt wird. Früher schützten die Wachposten nur die Pusher vor Verhaftungen und Personenkontrollen. Deshalb konnten die Käufer festgehalten, identifiziert und auf die Wache mitgenommen werden. Di Lauro hat dagegen Posten auch für die Kunden bereitgestellt, so daß jeder sicher und bequem den von Di Lauros Männern betriebenen Markt besuchen kann. Höchster Ko mf ort für die Kleinkonsumenten, ein Kerngeschäft des Drogenhandels in Secondigliano. Im Ortsteil Berlingieri kann man anrufen und findet dann die Ware fertig vor. Die Via Ghisleri, Parco Ises, der ganze Ortsteil Don Guanella, der Abschnitt H von Via Labriola, die Sette Palazzi: alles in ertragreiche Märkte verwandelt, bewachte Straßen, Gegenden, in denen die Anwohner sich einen selektiven Blick angewöhnt haben, als ob ihre Augen, wenn sie auf etwas Schreckliches stoßen, den Gegenstand oder die Situation einfach ausblenden könnten. Man wählt aus, was man sehen will, um weiterleben zu können. Der grenzenlose Supermarkt der Drogen. Alle nur denkbaren Rauschmittel. Alles, was in Europa eingeführt wird, passiert zuerst Secondigliano. Wenn mit dieser Menge nur Neapel und Kampanien versorgt würde, müßten die Statistiken wahnwitzige Ergebnisse zeigen. In jeder neapolitanischen Fa mili e müßten mindestens zwei Mitglieder kokain- und einer heroinabhängig sein. Ganz zu schweigen von Haschisch und Marihuana. Heroin, Cobret, leichte Drogen und dann die Pillen, die einige heute noch Ecstasy nennen, obwohl inzwischen 179 Varianten davon existieren. Hier in Secondigliano sind sie der große Renner und heißen X-file oder Jeton oder Bonbon. Damit werden enorme Gewinne erzielt. Ein Euro für die Herstellung, drei bis fünf für den Großhandel, und dann werden die Pillen in Mailand, Rom oder anderen Gegenden von Neapel für fünfzig bis sechzig Euro verkauft. In Scampia kosten sie fünfzehn Euro.
    Der Markt von Secondigliano ist flexibler geworden und setzt auf Kokain als sein Erfolgsprodukt der Zukunft. Früher war es die Droge der Elite, heute ist es dank der neuen Wirtschaftspolitik der Clans für den Massenkonsum zugänglich, es gibt Qualitätsunterschiede, aber jeder Bedarf wird befriedigt. Nach den Untersuchungen der Hilfsorganisation Gruppo Abele sind neunzig Prozent der Kokainkonsumenten Arbeiter oder Studenten. Kokain wird nicht mehr benutzt, um high zu werden, sondern in jeder möglichen Phase des Alltags, zur Entspannung nach Überstunden, um noch Kraft dafür zu haben, etwas zu tun, was lebendig und nicht nur als ein Surrogat der Erschöpfung wirkt. Kokain wird von Lastwagenfahrern für Nachtfahrten genommen, es dient dazu, stundenlang vor dem Computer zu sitzen oder wochenlang ohne jede Pause zu arbeiten. Ein Lösungsmittel für Erschöpfung, ein Heil mi ttel gegen Schmerz, ein Ersatz für Glück. Um einem Markt gerecht zu werden, der die Droge ais Ressource und nicht bloß zur Betäubung verlangt, mußte der Verkauf flexibler und von den Zwängen der Kriminalität befreit werden. Das qualitativ Neue in der Unternehmenspolitik des Clans Di Lauro war die Liberalisierung von An- und Verkauf der Drogen. Die italienischen kriminellen Kartelle bevorzugten bis dahin stets den Ankauf von großen Partien statt mittlerer oder kleiner. Die Di Lauro dagegen setzten auf mittelgroße Mengen, um damit im Drogengeschäft ein Kleinunternehmertum heranzuziehen, das neue Kunden anwirbt. Unabhängige freie Kleinunternehmer, die mit ihrer Ware machen, was sie wollen, den Preis festsetzen, den sie wollen, und verkaufen, wo und wie sie wollen. Jeder kann sich an dem Geschäft beteiligen, mit jeder beliebigen Menge. Man braucht dazu keine Mittelsmänner des Clans. Die Cosa Nostra und die ‘Ndrangheta weiten ihr Drogengeschäft überallhin aus, aber sie müssen über die Verzweigungen Bescheid wissen, und um Drogen für den Weiterverkauf von ihren

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