Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
Vom Netzwerk:
umulation wie zuvor mit Schweigen übergehen. Der Pakt wird nicht von irgendeinem charismatischen Führer nachts in der Zelle formuliert. Er wird nicht heimlich verbreitet, sondern in einer Zeitung veröffentlicht. Am 27. Juni 2005 kann man die Cronache di Napoli am Kiosk kaufen und in einem Artikel von Simone Di Meo den Pakt der Camorra lesen und studieren, um ihn zu verstehen. Hier die veröffentlichten Vereinbarungen:
    1) Die Abtrünnigen haben die Rückgabe der zwischen November und Januar in Scampia und Secondigliano geräumten Wohnungen verlangt. Ungefähr achthundert Personen waren von den Kampfeinheiten der Di Lauro gezwungen worden, ihre Häuser zu verlassen.
    2) Das Monopol der Di Lauro im Drogenhandel existiert nicht mehr. Es gibt kein Zurück. Das Territorium muß gerecht aufgeteilt werden. Das Umland den Abtrünnigen, Neapel den Di Lauro.
    3) Die Abtrünnigen können beim Rauschgiftimport ihre eigenen Kanäle benutzen und müssen sich nicht mehr auf die Vermittlung der Di Lauro stützen.
    4) Private Racheakte sind von den Geschäften zu trennen, das heißt, das Geschäft ist wichtiger als persönliche Fragen. Sollte in einigen Jahren Rache geübt werden, die sich auf diese Fehde bezieht, dann bleibt das Privatsache und wird keine weiteren Feindseligkeiten nach sich ziehen.
    Der Boss der Bosse aus Secondigliano muß zurückgekehrt sein. Von Apulien bis Kanada wird das vermeldet. Seit Monaten sind Geheimagenten hinter ihm her. Paolo Di Lauro hinterläßt Spuren, winzige Spuren, fast ebenso unsichtbar wie seine Macht vor der Fehde. Angeblich hat er sich in einer Klinik in Marseille operieren lassen, wo auch der Boss der Cosa Nostra, Bernardo Provenzano, gewesen war. Paolo Di Lauro ist zurückgekehrt, um den Frieden zu besiegeln oder den Schaden zu begrenzen. Er ist hier, seine Gegenwart ist bereits zu spüren, es herrscht eine andere Atmosphäre. Der seit zehn Jahren untergetauchte Boss, von dem ein Mitglied am Telefon sagte: »Er muß zurückkommen, auch wenn er dafür in den Knast geht.« Der Geisterboss, dessen Gesicht nicht einmal die Mitglieder kennen: »Bitte zeig ihn mir, nur einen Moment, nur einen, ich schau ihn mir an, und dann geh ich wieder«, hatte ein Mitglied den Boss Maurizio Prestieri angebettelt.
    Paulo Di Lauro wird am 16. September 2005 in der Via Canonici Stornaiuolo verhaftet. Er hatte sich in der bescheidenen Wohnung von Fortunata Liguori versteckt, der Freundin eines einfachen Mitglieds. Eine anonyme Wohnung wie die, in der sein Sohn Cosimo Zuflucht gesucht hatte. In dem Urwald aus Zement ist es leicht, sich unsichtbar zu machen, in diesen nichtssagenden Wohnsilos lebt man gesichts- und geräuschlos. In diesem städtischen Umfeld verschwindet man vollkommener und anonymer als in einem Verschlag mit doppeltem Boden. Paolo Di Lauro wurde kurz vor seinem Geburtstag verhaftet. An seinem Geburtstag nach Hause zu kommen, im Kreis der Familie zu essen, während die Polizei halb Europas ihm auf den Fersen ist, wäre der Gipfel der Provokation gewesen. Doch er wurde rechtzeitig gewarnt. Als die Carabinieri in seine Villa eindrangen, fanden sie den Tisch gedeckt, aber seinen Platz leer. Diesmal aber treffen die Carabinieri der Spezialabteilung, die ROS, ins Schwarze. Nachdem sie das Haus die ganze Nacht beobachtet haben, verschaffen sie sich um vier Uhr nachts Eintritt. Sie stehen unter Hochspannung. Der Boss aber wehrt sich nicht, sondern beruhigt sie.
    »Kommen Sie herein ... ich bin ganz ruhig ... kein Problem.«
    Zwanzig Streifenwagen begleiten das Auto, in das Di Lauro einsteigen soll, dazu vier Motorräder, die vorausfahren, um zu kontrollieren, ob alles ruhig ist. Der Zug setzt sich in Bewegung, der Boss sitzt in dem gepanzerten Fahrzeug. Es gibt drei Wege, um ihn in die Kaserne der Carabinieri zu bringen. Über die Via Capodimonte, dann Via Pessina und Piazza Dante, oder durch Sperrung des Corso Secondigliano auf der Tangen-ziale zum Vomero. Für alle Fälle steht ein Hubschrauber bereit, um Di Lauro zu transportieren. Die Motorrräder melden ein verdächtiges Auto auf dem Weg. Alle erwarten einen Anschlag. Doch es handelt sich um falschen Alarm. Di Lauro wird in die Kaserne der Carabinieri in der Via Pastrengo mitten in Neapel gebracht. Bei der Landung reißt der Hubschrauber Staub und Erde von den Blumenrabatten auf dem Platz hoch und wirbelt sie mit Fetzen von Plastik, Papiertaschentüchern und Zeitungen nach oben. Ein Strudel aus Müll.
    Es besteht keinerlei Gefahr. Doch die

Weitere Kostenlose Bücher