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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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seine ersten Sporen verdient hatte. Der Tod von Edoardo La Monica ähnelt dem von Giulio Ruggiero. Beide wurden mit geradezu pedantischer Gründlichkeit wenige Stunden nach der Festnahme der Bosse zu Tode gequält. Zerfetzt, zerschlagen, zerstückelt und zerfleischt. Seit Jahren hatte es keine Morde mit so sorgfältiger und blutrünstiger Symbolkraft mehr gegeben: seit dem Ende der Herrschaft von Cutolo und seinem Killer Pasquale Barra, genannt »‘o nimale« (das Tier), der berüchtigt war, weil er im Gefängnis Francis Turateilo umgebracht, ihm das Herz mit bloßen Händen aus dem Leib gerissen und zerbissen hatte. Diese vergessenen Rituale hat die Fehde von Secondigliano wieder zum Leben erweckt und jede Handlung, jeden Zentimeter Fleisch und jedes Wort zu einem Instrument der Kriegspropaganda gemacht.
    In der Pressekonferenz erklärten die Beamten der ROS, sie seien durch die Frau, die immer Di Lauros Lieblingsspeise, einen Graubarsch, gekauft habe, auf seine Spur gekommen. Diese Geschichte sollte das Bild des mächtigen Bosses, über den Hunderte von Getreuen wachten, dadurch diskreditieren, daß er am Ende wegen eines Essensgelüsts zu Fall kam. Diese Mar von der Verfolgung des Graubarsches fand jedoch in Secondigliano keinen Augenblick Glauben. Viele sahen dagegen im SISDE, dem italienischen Geheimdienst, die Verantwortlichen für die Festnahme. Der Geheimdienst hatte sich eingeschaltet, das bestätigten auch die Sicherheitskräfte, aber wie er das getan hatte, war in Secondigliano schwer, nur sehr schwer feststellbar. Eine Spur davon, daß der SISDE, wie viele Zeitungen vermuteten, verschiedene Leute in der Gegend für Informationen oder fürs Stillhalten bezahlt hatte, machte ich in Gesprächsfetzen in der Bar aus. Männer, die ihren Espresso oder Cappuccino mit Croissant zu sich nahmen, sagten Sätze wie:
    »Wo du doch Geld von James Bond bekommst ...«
    In jenen Tagen habe ich zweimal erlebt, daß 007 flüchtig erwähnt wurde, eine zu geringfügige und lächerliche Andeutung, um daraus irgendwelche Schlüsse zu ziehen, aber gleichzeitig zu ungewöhnlich, um nicht aufzufallen.
    Die Strategie der Geheimdienste, die zur Verhaftung von Di Lauro geführt hat, könnte darin bestanden haben, die Verantwortlichen für die Bewachung ausfindig gemacht und dafür bezahlt zu haben, daß sie die Posten und Schmieresteher anderswohin schickten. Deshalb wurde kein Alarm ausgelöst und eine Flucht des Bosses vereitelt. Die Familie von Edoardo La Monica verneint kategorisch jede mögliche Verwicklung des jungen Mannes und besteht darauf, daß er keinerlei Beziehung zum System, ja geradezu Angst vor ihm und seinen Geschäften hatte. Vielleicht hat er für jemand anders aus seiner Familie die Zeche bezahlt, doch die chirurgische Folter an seinem Körper wirkt wie für ihn gemacht und nicht als Botschaft für einen anderen.
    Eines Tages sah ich einige Leute in der Nähe der Stelle, wo Edoardo La Monica gefunden worden war. Ein Junge zeigte auf seinen Ringfinger, faßte sich dann an den Kopf und bewegte die Lippen, ohne einen Laut von sich zu geben. Als würde ein Streichholz vor meinen Augen entflammen, fiel mir die Gebärde von Vincenzo Di Lauro im Gerichtssaal ein, diese merkwürdige, ungewöhnliche Geste, mit der er - nach Jahren, in denen er seinen Vater nicht gesehen hatte - als erstes nach seinem Trauring zu fragen schien. Der Ring, anello, wird in Neapel aniello ausgesprochen. Der Ring verwies auf den Namen Aniello und der Ringfinger auf die Treue. Demnach ging es um den Treuebruch, als wollte Di Lauro auf die Familie verweisen, aus der der Verräter kam. Der für die Verhaftung verantwortlich war. Der ihn verpfiffen hatte.
    Aniello La Monica war der Patriarch der Familie, nach dem die Leute im Viertel die La Monica die »Anielli« nannten, wie die Familie Gionta in Torre Annunziata nach dem Boss Valen-tino Gionta »Valentini« hießen. Anniello La Monica war, so hatten die Kronzeugen Ruocco und Luigi Giuliano der Polizei verraten, ausgerechnet von seinem Patensohn Paolo Di Lauro umgebracht worden. Gewiß gehören alle Männer der La Monica zu den Reihen der Di Lauro. Aber dieser furchtbare Tod könnte auch die Strafe der Rache für jenen Mord vor zwanzig Jahren sein, eine Rache, kalt, eiskalt ausgeführt mit einem Aufschub, der gewaltsamer wirkte als eine Salve von Pistolenschüssen. Die Erinnerung reicht weit, sehr weit zurück. Anscheinend erinnern sich daran alle Clans, die einander in Secondigliano an der Spitze

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