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Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra

Titel: Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Saviano
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Clan in einer Krise. Verhaftungen und die Aussagen der Kronzeugen hatten die geduldige Aufbauarbeit von Donna Anna in Gefahr gebracht. Immacolata setzte auf das Geschäft mit Baustoffen, sie leitete auch eine Ziegelbrennerei in Afragola. Sie versuchte, möglichst enge Beziehungen zum Clan der Casalesen herzustellen,, der auf nationaler und internationaler Ebene wie kein anderer den Baustoffhandel und das Bauwesen beherrschte. Wie die Antimafia-Einheit Neapel nachweisen konnte, gelang es Immacolata Capone, den Firmen der Moccia wieder eine führende Rolle im Baugeschäft zu verschaffen. Die von ihr geleitete MOTRER wurde eine der wichtigsten Firmen für Erdbewegungen im Süden Italiens. Mit Hilfe eines Lokalpolitikers hatte sie, den Ermittlern zufolge, ein perfektes Verfahren ausgeklügelt. Der Politiker schrieb Aufträge aus, ein Unternehmer gewann die Ausschreibung, und Donna Immacolata trat dann als Subunternehmerin auf. Ich glaube, sie nur ein einziges Mal gesehen zu haben. Mitten in Afragola, auf dem
    Weg zu einem Supermarkt. Zwei junge Frauen folgten ihr in einem Smart, dem kleinen Zweisitzer, den alle Frauen der Camorra fahren. Die Türen aber waren so dick, daß dieser Smart wohl gepanzert war. Man stellt sich weibliche Leibwächter als Frauen vor, die Bodybuilding betreiben und durch ihre geschwollenen Muskeln wie Männer wirken. Schenkel wie Weintrauben, Brustmuskel, die den Busen verschwinden lassen, überentwickelte Bizepse und ein Hals wie ein Baumstamm. Die Leibwächter]nnen, die ich vor mir hatte, besaßen keinerlei Ähnlichkeit mit einer solchen Virago. Die eine war kiein, hatte einen ausladenden Hintern und übertrieben schwarz gefärbte Haare, die andere war mager, zierlich, eckig. Ins Auge stach mir ihre sorgfältige Kleidung, beide trugen zu dem leuchtenden Gelb des Smart passende Farben. Die eine hatte ein T-Shirt in der Farbe des Autos an, bei der anderen, der am Steuer, war die Fassung der Sonnenbrille gelb. Diese Wahl hatten die beiden sicher nicht aus Zufall und sicher nicht aus Zufall am selben Tag getroffen. Es war ein Zeichen von Professionalität. Das gleiche Gelb wie der Motorradanzug von Uma Thurman in Kill Bill von Quentin Tarantino, der Film, in dem Frauen zum erstenmal als kriminelle Protagonistinnen im Vordergrund stehen. Mit diesem Anzug war Uma Thurman mit gezücktem Samuraischwert auch auf dem Filmplakat abgebildet, das sich ins Gedächtnis einbrennt. Ein Gelb, so falsch, daß es zum Symbol wird. Ein erfolgreiches Unternehmen muß sich das Image des Siegers geben. Nichts darf dem Zufall überlassen bleiben, nicht einmal die Farbe des Autos und die Berufskleidung der Leibwächter. Immacolata Capone war zur Vorreiterin geworden, denn seitdem verlangen sehr viele Frauen, die auf verschiedenen Ebenen und in unterschiedlicher Weise in den Clans eine Rolle spielen, weibliche Leibwächter und kümmern sich um Stil und Image.
    Irgend etwas lief jedoch schief. Vielleicht hatte sie sich auf fremdes Territorium vorgewagt, vielleicht wußte sie um Geheimnisse, mit denen sie andere erpressen konnte: im März 2004 wurde Immacolata Capone in Sant’Antimo, der Heimat ihres Lebensgefährten, erschossen. Sie war ohne Bodyguards. Vielleicht hatte sie sich sicher gewähnt. Die Killer erreichten sie mitten im Ort, zu Fuß. Immacolata Capone bemerkte noch, daß sie verfolgt wurde, und begann zu rennen, die Leute um sie herum glaubten, man habe ihr die Handtasche weggerissen und sie verfolge die Diebe, aber sie hatte die Tasche umhängen. Beim Rennen hielt sie die Tasche instinktiv fest, statt sie fallenzulassen, was sie behinderte, als sie um ihr Leben rannte. Sie schaffte es noch in ein Geflügelgeschäft, konnte sich aber nicht mehr hinter dem Ladentisch verstecken. Die Killer holten sie ein, setzten ihr die Pistole in den Nacken und töteten sie mit zwei Schüssen: mit der kulturellen Rückständigkeit, die es mit sich brachte, daß Frauen nicht angerührt wurden, und die Anna Mazza noch geschützt hatte, war es vorbei. Der von Kugeln zerschmetterte Schädel, das blutüberströmte Gesicht waren der Beweis für die neue militärische Doktrin der Clans. Kein Unterschied mehr zwischen Mann und Frau. Kein angeblicher Ehrenkodex mehr. Doch das Matriarchat der Moccia erholte sich langsam und tätigte weiter große Geschäfte, kontrollierte sein Territorium mittels geschickter Investitionen und umfangreicher Kreditvergaben, beherrschte den Grundstücksmarkt und vermied Fehden oder Bündnisse, die die

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