Gomorrha: Reise in das Reich der Camorra
sondern neu zu organisieren versuchten. Die Clans der Quartieri Spagnoli und einige Jahre lang auch die von Forcella, jetzt arbeitete er manchmal für den Clan des Sanitä-Viertels. Don Ciro kannte sich so gut im Gewirr der Gassen Neapels aus und fand Mietshäuser, Erdgeschoß- und Souterrainwohnungen, Häuser ohne Nummer und illegal in den Treppenhäusern ausgebaute Wohnungen, so daß ihm manchmal die Postboten, die sich dauernd verirrten, die Briefe für seine Kunden mitgaben. Don Ciros Schuhe hatten vorne ein Loch, wo der große Zeh wie eine Beule heraustrat, und die Absätze waren abgetreten. Ein regelrechtes Symbol für die Kilometer, die er zu Fuß durch Gassen und über Treppen zurückgelegt hatte, Wege im Herzen Neapels, die aus Angst vor Verfolgern länger und länger wurden. Don Ciro trug verknitterte Hosen, die zwar sauber, aber offensichtlich nicht gebügelt waren. Er hatte keine Frau mehr, und seine neue Lebensgefährtin aus Moldawien war zu jung, um sich richtig um ihn zu kümmern. Er war entsetzlich ängstlich und hielt den Blick stets gesenkt, auch wenn er mit mir sprach. Sein Oberlippenbart war vom Nikotin genauso gelb verfärbt wie Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Die U-Boote geben auch Männern von Frauen, die im Gefängnis gelandet sind, jeden Monat Geld. Es ist erniedrigend, die mesata als Ehemann einer verhafteten Frau zu erhalten, und deshalb kommt es oft zu geheuchelten Vorwürfen und Geschrei auf dem Treppenabsatz. Die U-Boote werden von den Männern lauthals verjagt, wobei sie freilich nie vergessen, vorher den Umschlag mit dem Geld zu nehmen. Um all dies zu vermeiden, geben sie lieber den Müttern der Frauen das Geld, damit es an die Familie der Inhaftierten weitergeleitet wird. Die U-Boote hören sich die Klagen der Frauen an. Klagen über die gestiegenen Strom- und Gaspreise, die Miete, die Kinder, die durchfallen oder die Universität besuchen wollen. Forderungen und Tratsch über die Frauen anderer Mitglieder, die mehr Geld haben, weil ihre Ehemänner schlauer waren und innerhalb des Clans aufgestiegen sind. Wenn die Frauen reden, sagt das U-Boot in einem fort: »Ich weiß, ich weiß.« Als wollte er den Frauen helfen, den Kropf zu leeren, gibt er am Ende nur zwei Antworten: »Das hängt nicht von mir ab«, oder: »Ich bring nur das Geld: entscheiden kann ich nicht.« Die Ehefrauen wissen genau, daß die U-Boote nichts zu entscheiden haben, hoffen aber dennoch, von ihren unablässigen Klagen werde etwas aus dem Mund des U-Bootes einem Capo zu Ohren gelangen und dieser dann vielleicht eine Erhöhung der Gehälter oder eine sonstige Vergünstigung beschließen. Don Ciro war so daran gewöhnt, immer »Ich weiß, ich weiß« zu sagen, daß er auch im Gespräch mit mir zu jedem beliebigen Thema sein »Ich weiß, ich weiß« beisteuerte. Er hatte Hunderten von Frauen der Camorra die mesata gebracht und hätte über Generationen von Frauen, Ehefrauen und Verlobten und auch über die wenigen alleinstehenden Männer genauestens berichten können. Eine Geschichte der Kritik an Bossen und Politikern, aber Don Ciro war ein verschwiegenes, melancholisches U-Boot, das seinen Kopf wirklich zu einem hohlen Klangkörper gemacht hatte, in dem jedes gehörte Wort widerhallte, ohne eine Spur zu hinterlassen. Während ich mit ihm sprach, führte er mich aus dem Stadtzentrum heraus an die Peripherie von Neapel, wo er sich verabschiedete und einen Bus in die Stadt zurück nahm. Alles war Teil seiner Ablenkungsmanöver, damit ich auch nicht im entferntesten erraten konnte, wo er wohnte.
Für viele Frauen ist die Heirat mit einem Camorristen wie ein Kredit, wie erobertes Kapital. Wenn das Schicksal und die eigenen Fähigkeiten es erlauben, kann das Kapital Früchte tragen, so daß die Frauen Unterne hm erinnen, Managerinnen, Generalinnen einer schrankenlosen Macht werden. Wenn es schief läuft, bleiben sie allein und verbringen viele Stunden im Wartesaal eines Gefängnisses, müssen in Konkurrenz zu den Slawinnen treten und als Hausangestellte Arbeit finden, um die Rechtsanwälte bezahlen und ihre Kinder ernähren zu können, wenn der Clan gescheitert ist und die mesata nicht mehr zahlen kann. Die Frauen bürgen mit ihrem Körper für die Einhaltung von Bündnissen, ihre Gesichter und ihr Verhalten versa mm eln und beweisen die Macht der Familie, in der Öffentlichkeit erkennt man sie an den schwarzen Kopftüchern bei den Beerdigungen, den Schreien bei den Verhaftungen, den über die Absperrungen
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