Gondeln aus Glas
Neapel?»
«Vielleicht ist sie ja in Wirklichkeit eine Marchesa di Caserta», meinte Bossi.
«Zu einer Marchesa di Caserta würde der Verkauf eines Tizians zweifellos besser passen als zu einer bloßen Signora Caserta.» Tron sah Bossi nachdenklich an. «Und ihr Auftritt hatte tatsächlich etwas Befehlsgewohntes.»
Bossi drehte seine Augen nach oben und legte den Zeigefinger seiner rechten Hand auf seine Unterlippe. Das tat er immer, wenn er scharf nachdachte.
«Vielleicht», sagte er schließlich, «ist Signora Caserta ja in Wirklichkeit …» Er brach den Satz ab und schluckte aufgeregt. «Ich weiß, es hört sich völlig unwahrscheinlich an, aber die Königin von Neapel ist schön und jung und …» Bossi sah Tron an. «Es passt alles zusammen, Commissario.»
Tron musste unwillkürlich lachen. Was nicht zusammenpasste, fand er, war die sture Fixierung Bossis auf das, was er Indizienkette nannte, und die ausufernde Phantasie, die der Sergente bisweilen an den Tag legte. Selbstverständlich war bereits der Gedanke, dass die Königin von Neapel höchstpersönlich unter dem Namen einer Signora Caserta nach Venedig gekommen war, um einen Tizian zu verkaufen, ausgesprochen absurd.
«Gratuliere», sagte Tron mit einem Gesicht, in dem kein Muskel zuckte. «Ich war gespannt, wie lange Sie brauchen würden, um darauf zu kommen, Sergente.»
Sergente Bossi riss die Augen so weit auf, dass sie ein Stück aus den Höhlen zu quellen schienen.
«Signora Caserta ist die Königin von Neapel? La regina del sud? Woher wussten Sie das, Commissario?»
Tron lächelte nachsichtig. «Vermutlich eine Kombination von Instinkt und Erfahrung. Wir haben tatsächlich mit Maria Sofia di Borbone gesprochen.
Ihre Beobachtungsgabe ist bemerkenswert, Sergente.»
Er hob die Hand, um dem Gondoliere zu bedeu ten, vom Steg abzustoßen, und erwiderte Bossis Salut mit einem lässigen Tippen an seinen Zylinderhut, wobei er sich bemühte, nicht zu lachen. Der Sergente war zweifellos ein fähiger Polizist, aber er hatte nicht den geringsten Sinn für Ironie.
Auf den ersten hundert Metern amüsierte sich Tron noch, aber fünf Minuten später, als sich die Gondel der volta des Canalazzo näherte, hatte er ein schlechtes Gewissen. Im Grunde, dachte er, war es geschmacklos, alberne Witzchen auf Kosten des Sergente zu machen.
7
Die Stoffbahn von der Größe dreier Bettlaken, oben straff gehalten durch ein horizontal gespanntes Seil, an dem der Stoff befestigt war, bauschte sich fallend in runde, fast geometrisch wirkende Falten und erinnerte Tron an Gewänder, wie Massimo Schedoni sie gemalt hatte. Die Stoffbahn hing auf dem ersten Treppenabsatz des Palazzo Tron und verdeckte den oberen Teil der Tür zum Zwischengeschoss.
MAZURKA stand in leicht geschwungenen, riesigen Buchstaben auf dem Stoff, bei dem es sich um schweren roten Samt zu handeln schien. Die Buchstaben selbst waren aus goldenem Brokat, und die Strahlen der niedrig stehenden Sonne, die vom Hof her ins Treppenhaus fielen, brachten sie zum Leuchten. Dies alles wirkte ein wenig kitschig (wie bereits das Wort Mazurka), war aber trotzdem ein hübscher optischer Effekt, der vermutlich am Ballabend durch spiegelverstärkte Petroleumlampen bewerkstelligt werden würde.
Tron, der auf der Treppe stehen geblieben war, registrierte, dass jemand die Stufen sorgfältig gefegt hatte. Auch der obligatorische Putzeimer und der daneben an die Wand gelehnte Besen waren vom Treppenabsatz verschwunden, ebenso wie das Schild mit der Warnung: Eimer und Besen gehören den Trons.
Merkwürdig, dachte Tron, wie wenig das nagel neue Spruchband den beklagenswerten Zustand des Palazzo Tron betonte – den bröckelnden Putz, die Risse in den Treppenstufen –, sondern dem Gebäude vielmehr die Würde eines Museumsstückes verlieh.
Daneben wirkte der Palazzo Balbi-Valier der Principessa, in dem jede Treppenstufe und jede Wandflä che wie aus dem Ei gepellt aussahen, total nouveau riche. Das war eine Betrachtungsweise, sagte sich Tron, der sich die Contessa auf der Stelle freudig anschließen würde – obwohl sie andererseits im Moment alles dafür tat, dass es im Palazzo Tron bald genauso nouveau riche aussehen würde.
«Das Spruchband im Treppenhaus gefällt mir»,
sagte Tron eine halbe Stunde später zur Contessa, als er sich in der sala degli arazzi, dem Gobelinzimmer des Palazzo Tron, über eine grätige Seezunge beugte.
Die Contessa, auf der anderen Seite des Tisches, blickte zerstreut auf. Sie sah
Weitere Kostenlose Bücher