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Gondeln aus Glas

Gondeln aus Glas

Titel: Gondeln aus Glas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicolas Remin
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Dutzend Kroatischer Jäger, die in Zweiergruppen auf den Perrons patrouillierten. Als der Elf-Uhr-Zug aus Verona pfeifend einfuhr, wehten Qualm und ein scharfer Geruch von Maschinenöl in die Bahnhofshalle. Die Lokomotive, ein grün gestrichenes Dampfschiff auf Rädern, stieß einen weiteren Pfiff aus und kam ruckelnd zum Stehen. Gepäckträ ger gingen mit ihrem Karren in Stellung, die ersten Türen der Coupés öffneten sich, entließen hier eine Viererformation Grazer Pionierleutnants, dort eine russische Großfamilie, da eine Horde Generalstabsoffiziere aus Verona. Alle vereinigten sich zu einem nervösen Strom, der sich zuckend und gaslichtverschmiert zum Ausgang bewegte.
    Ob er Valmarana nach so langer Zeit wiederer kennen würde? Tron, der vor einem Telegrafenbüro stehen geblieben war, in dem ein uniformierter Angestellter Jamben, Daktylen und Trochäen auf einen Messinghebel hämmerte, entschied sich, nach einem soignierten Herrn in einem gut geschnittenen Gehrock Ausschau zu halten – einem etwas rundlichen Herrn vielleicht, denn Valmarana hatte auf dem Seminario Patriarcale die Angewohnheit gehabt, alles Mögliche in sich hineinzustopfen.
    Zehn Minuten später waren fünf rundliche Zivilisten an Tron vorbeigelaufen, aber bei keinem von  ihnen hatte es sich um Valmarana gehandelt. Der Perron hatte sich jetzt geleert – bis auf eine Gruppe von Reisenden, die eben erst ausgestiegen war, vermutlich weil sie vermeiden wollte, sich durch den überfüllten Bahnsteig zu kämpfen. Außer drei Gepäckträgern registrierte Tron einen hoch gewachsenen General in der hellblauen Uniform der Innsbrucker Kaiserjäger, neben ihm zwei Ordonnanzen, die das Ausladen verschiedener Reisekoffer überwachten. Vor dem General und Tron die linke Seite zukehrend, stand ein dicklicher Mann in der roten Uniform der Eisenbahnschaffner, der grüßend die Hand an seine Dienstmütze legte und mit einer servilen Verbeugung einen Briefumschlag entgegennahm. Dann setzte sich die Gruppe in Bewegung, der General schritt voran, gefolgt von seinen beiden Ordonnanzen, die wiederum die drei Gepäckträger mit ihren Karren im Schlepptau hatten.
    Zurück blieb der rot uniformierte Schaffner, und als der den Kopf drehte – in den Schein des Gaslichtes, das die Goldborte seiner Dienstmütze aufleuchten ließ –, erkannte Tron ihn: Valmarana – mit einem Gesicht, das die Jahre gepolstert hatten, ohne seinen Zügen eine Kontur zu verleihen, und mit einem massigen Körper, der nach unten floss wie eine schmelzende Kerze. Und dessen Freude, ihn wiederzusehen, sich in Grenzen hielt.

    «Kostolany ist gestern Nacht erdrosselt worden», sagte Tron fünf Minuten später im Coupé des Generals.

    «Und wir glauben, dass du gestern Abend im Palazzo da Lezze gewesen bist.»
    Diese Kombination zweier Nachrichten sprach  einen Verdacht aus, den Tron in dieser Schärfe gar nicht hegte. Allerdings hatte er inzwischen festgestellt, dass sich seine Freude, Valmarana wiederzusehen, ebenfalls in Grenzen hielt.
    Sie saßen an einem ovalen, am Boden des Abteils befestigten Tisch, auf dessen polierter Oberfläche sich das Licht der Petroleumlampe spiegelte. Mit den weichen Sitzpolstern aus grünem Samt und dem zackigen Stahlstichportrait des Kaisers wirkte das Coupé plüschig und martialisch zugleich.
    Valmaranas erste Reaktion auf die Ermordung des Kunsthändlers war eine leichte Verblüffung. Eine zweite Reaktion konnte Tron nicht erkennen, denn Valmarana hatte sein Gesicht abgewandt. Er sah zum Abteilfenster hinaus und betrachtete die kroatische Patrouille, die auf dem Bahnsteig vorbeilief, mit einer Gleichgültigkeit, die Tron für gespielt hielt.
    «Ja, ich war gestern Abend im Palazzo da Lezze», sagte Valmarana schließlich, ohne seinen Kopf zu drehen.
    «Und Kostolanys Assistent war Zeuge», fuhr Tron fort, «wie du vor ein paar Tagen einen Streit mit Kostolany hattest. Wegen einer Zeichnung, die du ihm verkaufen wolltest. Deine Frau sagt, Kostolany hat dir anstelle des Originals eine Kopie zurückgegeben.»
    Valmarana sah Tron an. «Womit ich ein Motiv  hätte, Kostolany zu ermorden.» Er hörte sich fast amü siert an. «Ist es das, was du damit andeuten wolltest?»
    «Dass du Kostolany umgebracht hast, hat niemand behauptet», sagte Tron.
    Valmarana zupfte sich die weißen Diensthand schuhe von seinen dicken Fingern und legte sie vor sich auf den Tisch. Dann sagte er langsam: «Ich hatte auch kein Motiv, Tron.» Er warf einen melancholischen Blick auf

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