Gone 4: Rache
eingeschlagen, das Laken auf der Liege besudelt. Und die Bücher, lauter medizinische Ratgeber, hatte irgendein Trottel von den Regalen gefegt.
Jemand musste die Krankenakten verbrannt haben, denn unter dem Fenster lag ein Aschehaufen, aus dem verkohlte Papierfetzen ragten.
Auf einer der oberen Regalflächen hatte ein Vogel ein Nest gebaut und es dann wieder verlassen. Die Federn wehten über den Boden und mischten sich mit der Asche.
So hatte sie das Thermometer gefunden. Als ihr Blick auf die Federn fiel. Es würde natürlich nicht steril sein, aber in der FAYZ war schon lange nichts mehr sauber.
Ihr Bruder hatte fast vierzig Grad Fieber. Und sein Husten war wieder schlimmer geworden.
»Was hast du vor, Pete? Wirst du zulassen, dass du stirbst?«
War ihm überhaupt klar, wie schlecht es um ihn stand? Der kleine Pete wusste nichts von Viren. Wie würde er mit einem Feind fertig werden, von dessen Existenz er nicht einmal etwas ahnte? Er verstand nichts von alledem, aber er spürte, dass er glühte. Inzwischen wehte wieder eine Brise. Wie lange würde es dauern, bis er auch hier das Dach in die Luft jagte?
Astrid hörte Orc unten ein Lied grölen. Sie konnte ihm nicht mehr zusehen. Ertrug es nicht. Wenn er sich zu Tode trinken wollte, nur zu, sie würde ihn nicht daran hindern.
Orc wurde gefährlich, wenn er betrunken war. Unberechenbar. Und vorhin hatte er sie mit einem seltsam intensiven Glanz in den Augen angesehen.
»Am Ende sind wir alle tot, nicht wahr?«, fragte sie den kleinen Pete. »Es endet, sobald wir kapitulieren und das Böse gewinnt.«
Sie bemerkte, dass ihr Atem kleine Wölkchen bildete. Im Zimmer wurde es von Minute zu Minute kälter.
Sie steckte ihm noch einmal das Thermometer in den Mund. Er hustete und spuckte es aus.
»Ja, ist ja gut«, sagte Astrid. »Petey, ich … wenn du das nicht beenden kannst … das alles … Es muss aufhören. Die Kinder sterben an diesem Husten. Und das nur, weil du diesen Ort geschaffen hast. Wegen der FAYZ . Du hast die Regeln verändert und das hat Folgen.«
Der kleine Pete antwortete nicht.
Sie hatte auch nicht damit gerechnet. Auf einem der Betten lag ein Kissen. Drück es ihm aufs Gesicht. Wahrscheinlich würde er es nicht einmal merken. Er hätte keine Angst. Würde nicht leiden. Es wäre ein schmerzloser Übergang vom Leben in den Tod und die Barriere würde fallen und gleich darauf kämen die Polizei und die Krankenwagen und es gäbe Essen und Medikamente. Und es müsste niemand mehr sterben.
Mom, Dad, ich lebe. Ich habe es geschafft. Pete leider nicht. Es tut mir so leid, aber …
Astrid fuhr zusammen. Sie zitterte am ganzen Körper. Es wäre so einfach. Und niemand außer Pete selbst könnte sie daran hindern. Kein Mensch würde es je erfahren.
»Nein«, flüsterte sie mit bebender Stimme. Und dann: »Ich darf nicht hierbleiben, Petey. Wenn ich bleibe … Verzeih mir, ich kann einfach nicht mehr.«
Astrid schlotterte vor Kälte. Durch das Fenster blies ein eiskalter Wind herein. Sie rieb sich die Hände, um sie zu wärmen, und ging aus dem Zimmer.
Den Flur entlang.
Die Treppe hinunter.
Durch die Eingangstür ins Freie.
»Das war’s«, sagte sie, während sie noch einen Moment lang auf der Steintreppe stand.
Dann verschwand sie in der Dunkelheit.
Vierunddreißig
2 Stunden, 51 Minuten
»Gehst du?«, fragte Diana.
»Selbstverständlich«, erwiderte Caine. »Wir gehen. Und wir nehmen Penny mit. Vielleicht kann Lana ihre Beine heilen. Penny wird sehr nützlich sein – mit ihr kann ich die Leute unter Kontrolle halten.«
Caine pfiff fröhlich vor sich hin, während er einige Kleidungsstücke in eine Reisetasche stopfte.
»Du solltest auch ein paar Sachen einpacken«, sagte er. »Könnte eine Weile dauern, bis wir wieder hier sind.«
»Ich komme nicht mit.«
Caine erstarrte. Er lächelte sie an. Dann verschwand jede Wärme aus seinen Augen und sie wurde von einer unsichtbaren Hand zum Kleiderschrank geschubst.
»Ich hab gesagt, du sollst packen!«
»Nein.«
»Treib mich nicht dazu, etwas zu tun, was wir später beide bereuen«, warnte er sie.
Dann, in einem ruhigeren Ton: »Ich dachte, du liebst mich. Was soll das jetzt?«
»Du kotzt mich an.«
Caine lachte. »Und das schockiert dich?«
»Ich hatte so gehofft …«
»Was?«, fuhr er sie an. »Was hast du gehofft? Dass du mich glücklich machst? Dass du mich zähmst?«
»Ich dachte, du wärst vernünftiger geworden.«
Als Caine sie mit einer nachlässigen Geste zu
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