Gone 5: Angst (German Edition)
schoss davon.
Sam fiel auf, dass Dekka sich weigerte, ihn anzusehen. Kurz überlegte er, ob er sie darauf ansprechen sollte, war aber einfach zu müde dazu. Er konnte kaum noch die Augen offen halten.
Plötzlich war da wieder dieses Gefühl, etwas nicht richtig zu sehen. Er spürte einen Blick auf sich ruhen, fühlte sich beobachtet, als würde sich etwas im Schutz der Schatten verstecken und ihn nicht aus den Augen lassen.
»Kojoten«, murmelte er und hätte es auch fast geglaubt.
Als sie beim See ankamen, tauchten im Osten gerade die ersten noch schwachen Strahlen der FAYZ -Sonne auf. Am See bekamen sie sehr schöne Sonnenaufgänge geboten – sofern man die Tatsache ignorierte, dass die »Sonne«, die gerade an der Barriere hochkroch, nur eine Täuschung war.
Sam war am ganzen Körper verspannt und hundemüde. Auf dem Hausboot achtete er darauf, niemanden zu wecken, und tappte leise durch den schmalen Gang zu seiner Kabine. Da die Vorhänge zugezogen waren, tastete er sich zum Rand seiner Koje vor, setzte sich darauf und ließ sich auf den Rücken fallen.
Während er bereits in den Schlaf sank, dachte er noch, dass sich sein Bett anders anfühlte als sonst.
Dann spürte er den sanften Hauch eines Atems auf seiner Wange.
Als er das Gesicht zur Seite drehte, fanden ihre Lippen die seinen. Nicht zärtlich. Nicht sanft. Sie küsste ihn voller Leidenschaft und es war, als hätte ihn ein Stromschlag geweckt.
Noch während sie sich küssten, schob sie sich auf ihn drauf.
Stunden später sagte er: »Astrid?«
»Hättest du das nicht schon beim vorvorletzten Mal klären sollen?«, fragte sie in dem ihm so vertrauten, leicht herablassenden Ton.
Danach sagten sie sich noch viele Dinge, aber nicht in Worten.
Draußen
Mary Terrafino war vor vier Monaten durch die Barriere gekommen. Sie war auf die Sekunde genau an ihrem fünfzehnten Geburtstag von einer Klippe in der FAYZ gesprungen.
Sie war auch gelandet. Aber nicht auf den Felsen am Fuß der Klippe, sondern fünf Kilometer von der Barriere entfernt in einer ausgetrockneten Schlucht. Und sie wäre gestorben, wenn nicht zufällig zwei Radfahrer vorbeigekommen wären, die sich ein Wettrennen über Stock und Stein geliefert und mit allem gerechnet hatten, nur nicht mit dem, was sie fanden.
Die Radfahrer hatten anstelle eines Krankenwagens den Tierschutz gerufen, weil sie gedacht hatten, dass es ein grauenhaft verstümmeltes Tier sein musste. Ein verständlicher Irrtum.
Seither lag Mary in der Universitätsklinik von Los Angeles. In einer Sonderabteilung. Sie zählte nur zwei Patienten: Mary und einen Jungen namens Francis.
Die behandelnde Ärztin hieß Dr. Chandiramani. Sie war achtundvierzig Jahre alt und trug einen indischen Sari unter ihrem weißen Kittel.
Dr. Chandiramanis Verhältnis zu Major Onyx war angespannt. Der Major war ihre Verbindungsperson zum Pentagon. Offiziell bestand seine Aufgabe darin, Dr. Chandiramani und ihrem Team jede nur erdenkliche Hilfe zur Verfügung zu stellen.
In Wirklichkeit benahm sich der Major aber so, als wäre er der Chef der Abteilung. Entsprechend oft gerieten er und die Ärzte aneinander.
Das alles lief immer sehr höflich und ohne Geschrei ab, es war jedoch klar, dass das Pentagon andere Prioritäten setzte als die behandelnden Ärzte. Die Ärzte wollten ihre beiden Patienten am Leben erhalten und dafür sorgen, dass es ihnen an nichts fehlte. Die Armee wollte Antworten.
Major Onyx hatte in Marys Zimmer und den beiden anliegenden Räumen Geräte montieren lassen, die mit Marys Gesundheitszustand nichts zu tun hatten. Dr. Chandiramani hatte so getan, als verstünde sie nichts von diesen Dingen. Dabei hatte sie nicht nur Medizin studiert, sondern auch Physik. Und sie erkannte ein Massenspektrometer, wenn sie eins sah.
Marys Zimmer und das von Francis befanden sich im Inneren eines extrem empfindlichen Massenspektrometers. Was der Major sonst noch an Instrumenten in den Wänden, an der Decke und im Boden verstecken ließ, konnte sie nur ahnen.
Francis war am Leben. Sie wussten aber immer noch nicht, wie sie mit ihm in Kontakt treten sollten. Die Hirnströme waren eindeutig vorhanden. Er war also bei Bewusstsein. Er hatte aber weder Mund noch Augen. Aus seinem Körper ragte ein armähnliches Anhängsel, das jedoch ununterbrochen von Krämpfen geschüttelt wurde. Selbst wenn seine Finger keine ineinander verschmolzenen Krallen gewesen wären, hätte er nicht einmal einen Bleistift halten können.
Mary war in
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