Good Girls
neun und hatte keine Lust mehr, mit Barbiepuppen zu spielen. Ab und zu füge ich ein neues Bauwerk hinzu. Ich weiß, es ist ein merkwürdiges und uncooles Hobby. Aber ich habe schon immer gerne Sachen gebaut. Es ist wie Meditieren, nur dass man dafür Zahnstocher braucht.
Aber heute kann mich nicht einmal mein Zahnstocherdorf beruhigen. Mir will einfach nichts einfallen, was ich noch bauen könnte. Mit einem Mal kommt es mir wie ein kindisches Spielzeug oder ein Haufen Brennholz vor. Also setze ich mich an meinen Schreibtisch. Ich mache den Computer an und warte, während er summend hochfährt. Er piepst und piepst und piepst. Das bedeutet, dass ich etwa viertausend neue Direktnachrichten habe. Ich will sie nicht einmal lesen. Beim Löschen lese ich einige davon, ohne es zu wollen. Die meisten stammen von Leuten, die ich nicht kenne:
Direktnachricht von
»sweetyPI567«
Letzte Nachricht um 15:42 Uhr
sweetyPI567:
Du Schlampe! Warum nennt dein Vater sein Geschäft nicht »Die Schlampe« anstatt »Der Engel«?!
Direktnachricht von
»69luvvver«
Letzte Nachricht um 16:19 Uhr
69luvvver:
Willst du mich heiraten? Oder mir wenigstens einen blasen?
Direktnachricht von
»ritechuschik2424«
Letzte Nachricht um 18:10 Uhr
ritechuschik2424:
Tu, was dir gefällt. Niemand kann dich aufhalten. Es ist dein Leben. Du bist keine Schlampe, du willst einfach nur deinen Spaß haben: LDS ist heiß!
E-Mails habe ich auch bekommen. Einige Mitschüler haben mir das Foto freundlicherweise noch einmal per Mail geschickt. Nur für den Fall, dass ich noch nicht ausreichend gedemütigt worden bin. Joelle sendet mir eine dramatische Mail voller Großbuchstaben. Sie schreibt, Ash habe ihr erzählt, was passiert sei. Und sie werde Luke DeSalvio höchstpersönlich umbringen (es sei denn, ich mag ihn immer noch). Außerdem schreibt sie, ich soll einfach alles abstreiten. Sie würde dann überall herumerzählen,dass Pam Markovitz oder Cindy Terlizzi mit einer blonden Perücke herumgelaufen sind. Ich lösche alle Mails, auch die von Jo. Ich drücke die Löschtaste, bis keine neuen Nachrichten mehr in meinem Postfach sind. Und dann drücke ich sie noch einmal, um ganz sicherzugehen.
Mein Handy klingelt in meinem Rucksack und ich sitze da und lasse es summen. Als ich später meine Hausarbeit für Mr Lambright überarbeite, brummt es wieder. Und als ich meine Matheaufgaben mache. Und als ich für Bio lerne. Summ, summ, summ. Wie Wespen, die gegen eine Fensterscheibe fliegen. Wenn sie lang genug summen, wenn sie nur fest genug dagegen fliegen, vielleicht krepieren sie dann alle.
»Audrey?« Die Stimme meiner Mutter dringt zu mir nach oben. Wahrscheinlich ist es Zeit fürs Abendessen. Nicht dass mir nach Essen zumute ist, weder jetzt noch in Zukunft. Mein Magen ist geschlossen. Er hat seine sieben Sachen gepackt und ist auf unbestimmte Zeit verreist. Tschüss, Magen. Ich denke, dass ich vielleicht ein paar Kilo abnehmen könnte, bis ich wieder etwas Essbares zu mir nehmen werde. Und dann kann ich kaum glauben, dass ich denke, was ich denke. Das wird nicht einfach wieder vorbeigehen. Es gibt kein Entkommen. Als ich elf war, hat Mom mich mal gefragt, welche Schimpfworte wir benutzen, wenn Lehrer in der Nähe sind und wir nichts Schlimmes sagen können. In ihrem Buch kam nämlich ein Kind vor, das ein harmlosesSchimpfwort benutzen sollte. Ich erzählte ihr, dass wir dann Blödmann, Doofi oder Idiot sagten. Oder uns Ausdrücke wie Schleiertroll oder Schmalzflügler ausdachten. Und dann erzählte ich ihr noch von unserem neuesten Lieblings-Nichtschimpfwort, das wir erst kürzlich gehört hatten und ständig benutzten. »Und das wäre?«, fragte sie.
»Schwanzlutscher«, antwortete ich.
Sie rang nach Luft und riss entsetzt die Augen auf. »Audrey«, sagte sie. »Aber das ist ein sehr schlimmes Schimpfwort.«
»Wirklich?«
»Ja, ganz sicher. Das dürft ihr nicht mehr sagen, versprichst du mir das?«
Ich war rot wie eine Tomate geworden. Wie konnte ich nur so dumm sein und nicht wissen, dass das ein schlimmes Schimpfwort war?
»Weißt du denn, was es bedeutet?«
Ich sagte ja. Ich dachte, es sei eine Art Süßigkeit, und das war doch eigentlich nichts Schlimmes.
Als ich nach unten gehe, sieht es gar nicht gut aus. Es sieht sogar sehr schlecht aus. So schlecht, wie man es sich nur vorstellen kann. Meine Mutter sitzt am Tisch, der noch nicht fürs Abendessen gedeckt ist. Es steht kein Essen auf dem Herd, neben dem Spülbecken liegt kein Pizzakarton
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