Goodbye Chinatown: Roman (German Edition)
neuen Wohnung für uns Ausschau halten?«
»Hm? Oh, ja natürlich«, antwortete er.
Zur Vorbereitung auf Weihnachten wurde die Schule mit Lichtern und ausgeschnittenen Schneeflocken geschmückt, und alle Schüler sangen Lieder in der Aula. Ich wusste, dass Annette vorhatte, mir etwas zu Weihnachten zu schenken. Seit Wochen sollte ich erraten, was es war, aber mir fielen nur Dinge wie Federmäppchen oder Schulbücher ein, womit ich zu ihrer großen Freude vollkommen falschlag.
Wenn Annette mir etwas schenkte, musste ich ihr auch etwas schenken. Mama und ich gingen also zu Woolworth’s, um dort nach einem passenden Geschenk zu suchen. Die Spielzeugabteilung ließen wir links liegen, weil dort alles entweder zu teuer oder zu klein war. Außerdem hatte Mama keine Ahnung, was man einer weißen Person kaufen sollte. Sie hatte nicht viel Geld, wollte aber ein großes Geschenk, damit es so aussah, als hätten wir einen angemessenen Betrag investiert. Letztendlich entschied sie sich für eine große Plastikpflanze für 1,99 Dollar, was hundertdreiunddreißig Röcken entsprach. An der Kasse wurde uns die Pflanze kostenlos als Geschenk eingepackt, und ich konnte es kaum erwarten, sie Annette zu überreichen.
Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien sah ich Annette
morgens aus dem Auto steigen und rannte mit meinem unförmigen Geschenk auf sie zu.
»Kimberly!«, kreischte sie. »Was ist denn das?!«
Ich schob es ihr in die Hände. »Für dich.«
»Hallo Kim!«, rief Mrs Avery aus dem Auto.
Annette hatte bereits das Geschenkpapier aufgerissen. Als die grün-rot gesprenkelten Blätter sichtbar wurden, hielt sie die Plastikpflanze verdutzt auf Armeslänge von sich weg. »Kommt da Musik raus?«
Ich litt mal wieder an einer Erkältung und wischte mir die Nase mit einem Stück Klopapier ab, während ich zu ergründen versuchte, was sie meinte. Warum sollte aus einer Pflanze Musik kommen? Erst später wurde mir klar, dass Annette die Pflanze für ein Spielgerät gehalten hatte, weil sie sich nicht erklären konnte, warum ich ihr sonst so etwas schenkte.
Mrs Averys Stimme unterbrach uns: »Was für eine hübsche Pflanze, Annette. Stell sie doch aufs Fernsehbrett in deinem Zimmer. Vielen Dank, Kimberly.«
»Ja, danke«, murmelte Annette. Dann heiterte sich ihre Miene auf, und sie zog ein winziges Päckchen aus der Tasche. »Und das ist für dich.«
Ich machte das Päckchen auf und hielt einen kleinen Pandabären zum Klammern in der Hand, ähnlich den Plüschtieren, die sie an ihrer Schultasche befestigt hatte. Er hatte sanfte braune Augen und niedliche schwarze Öhrchen, die höflich nach unten geklappt waren; an den Tatzen hatte er winzige Krallen, mit denen er sich an meinem Finger festklammern konnte. Ohne es zu wissen, hatte ich mich immer nach so einem Bären gesehnt, auch wenn ich glaube, dass Mama ein wenig enttäuscht war, weil wir im Gegenzug nur ein so winziges Geschenk bekommen hatten.
Am Morgen hatte mich Mama mit einer Überraschung geweckt: Statt wie sonst in die Fabrik aufzubrechen, wollte sie mich zur Schule begleiten.
»Dann kommst du aber zu spät«, warnte ich sie.
»Tante Paula treibt heute die Miete ein«, antwortete Mama. »Außerdem haben wir noch ein bisschen Zeit bis zur nächsten Lieferung.«
»Aber man kann sich nie sicher sein, dass Tante Paula wirklich unterwegs ist.« Ich hatte oft genug erlebt, wie sie Arbeiter wegen Lappalien zurechtgewiesen hatte, zum Beispiel, weil sie zu spät kamen. Manchmal feuerte sie denjenigen sogar an Ort und Stelle.
»Ich weiß.« Ich suchte Mamas Blick, aber sie starrte geradeaus, während wir auf meine Schule zugingen.
»Mama.« Ich zupfte an ihrem dünnen Mantel. Sie riskierte ihren Job und unser Überleben. Ich war mir sicher, dass Tante Paula auch uns feuern würde, wenn sie richtig sauer wurde. In der eiskalten Morgenluft stiegen weiße Atemwolken von meinem Mund auf. »Was hast du vor?«
Sie antwortete nicht, aber ich sah, dass sie eine Proviantdose in einer kleinen Plastiktüte dabei hatte. Hatte diese Dose etwas mit meinen Problemen mit Mr Bogart zu tun? Wollte sie ihn etwa mit Essen bewerfen? Bei jedem Schritt hämmerte der Asphalt im Rhythmus meines angstvoll pochenden Herzens gegen meine Gummisohlen.
Ich versuchte, mich am Eingang von ihr zu verabschieden, aber sie marschierte geradewegs an der Wachfrau vorbei und folgte mir ins Untergeschoss, wo wir uns klassenweise aufstellen mussten. Mr Bogart lehnte an der Wand und unterhielt sich
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