Goodbye Leningrad
Sie berichten mir vom Essen in der Cafeteria der Universität.
Uschasnaja
, klagen sie – schrecklich. Als Lehrkraft für das amerikanische Programm besitze ich einen Passierschein für die Cafeteria. Es ist eigentlich eine Cafeteria für die Lehrkräfte, doch die amerikanischen Gaststudenten haben einen eigenen Speiseplan, damit sie nicht auf der Stelle vergiftet werden. Wenn ich in der Cafeteria esse, halte ich mich unweigerlich in der Nähe der Desserts auf, die so verführerisch unter Glas ausgestellt sind: Kuchenstücke mit Rosen aus Buttercreme, luftige Windbeutel mit einem Überzug aus Schokolade, Berge von Schlagsahne, wie ich sie nie zuvor gesehen habe. Ich starre auf die Kohlrouladen, die unter anderem Fleisch enthalten, auf den mit Rosinen verzierten Karottensalat. Für einen Rubel belade ich mein Tablett mit Delikatessen und verschlinge sie an einem Tisch ganz hinten in der Ecke, fern von den Blicken der anderen. Aus irgendeinem Grund kommt es mir so vor, als wäre ich illegal hier und würde all das Essen, das so schwer zu bekommen ist und von meinen amerikanischen Studenten nur belächelt wird, nicht verdienen.
Freitags gehen Nina und ich und alle anderen Lehrer in den großen Hörsaal, um den Vorlesungen über russische Geschichte und Literatur zu lauschen, die unsere herausragendsten Professoren vor den amerikanischen Studenten halten. Dabei sind wir nicht eben versessen darauf, etwas über den Dekabristenaufstand von 1825 oder Lermontows »überflüssige Menschen« zu hören. Nach der Vorlesung enthüllt die Leiterin des Programms, eine elegante junge Frau, von der es heißt, sie sei mit einem KG B-Oberst verheiratet, einen Tisch mit einem elektrischen Samowar und einem Stapel großer Mohnkringel namens
bubliki
, und gemeinsam mit unseren Studenten trinken wir Tee aus traditionellen Gläsern in Metallhalterungen. Wir sind hier, um Englisch zu sprechen und zu hören.
|324| Das Englisch, das wir hören, klingt urwüchsiger und unerschrockener als die britischen Stimmen von den Tonbändern unseres Sprachlabors. Diese Vokale spalten den Gaumen; diese Konsonanten geraten ins Straucheln. Meine Studenten zögern nun nicht mehr bei dem Versuch, sich an ein Wort oder an die korrekte Endung eines Substantivs zu erinnern. Sie reden schnell und gewandt. In ihrer eigenen Sprache sind sie am Ruder.
Die Studenten aus meinem Kurs haben sich um den Samowar geschart und betätigen einer nach dem anderen den Hebel, der kochendes Wasser in ein Glas fließen lässt.
»Sie sehen ein wenig wie Natalie Wood aus«, sagt Charles aus Virginia und beißt in ein
bublik
.
Ich weiß nicht, wer Natalie Wood ist, lege aber die Stirn in Falten, weil ich nicht ganz sicher bin, ob ich den Namen auch richtig verstanden habe. »Natalie Wood?«, frage ich und kneife die Augen zusammen. Wahrscheinlich ist sie jemand, den außer mir jedermann kennt.
»Eine Schauspielerin. In Filmen, wissen Sie«, sagt Charles. »Ihre Eltern waren Russen, wissen Sie.«
Ich weiß es nicht. Aber müsste ich es wissen? Müsste ich dankbar sein, dass er mich mit einer Schauspielerin mit Immigranteneltern vergleicht?
Ich lächle und nicke. »Meine Schwester ist Schauspielerin, wissen Sie«, sage ich und versuche, die Unterhaltung fortzuführen.
Charles antwortet etwas, und ich tue so, als hätte ich es verstanden. Ich tue so, als wäre ich glücklich.
Dann merke ich, dass mich die Programmleiterin, die mit dem KG B-Ehemann , scharf ansieht, und frage mich, ob ich wohl mit meiner Verstellung zu weit gehe, ob sie wohl annimmt, dass ich mich unter all diesen Studenten tatsächlich |325| wohlfühle, die wir bereitwillig in unsere Sprache und Kultur einweihen, die jedoch, auch wenn sie noch so unschuldig klingen, im weltweiten Kampf um die lichte Zukunft der Menschheit für alle Zeiten unsere ideologischen Widersacher bleiben werden.
Ich beschließe, woanders hinzugehen, und geselle mich zu Nina, die mit zweien ihrer Studenten dasteht und genauso glücklich aussieht wie offenbar ich in den Augen der Programmleiterin. Cynthia und Robert aus ihrem Kurs sind älter, beide Absolventen von Universitäten, deren Namen aus ihren Mündern rattern, ganz und gar unverständlich, wie ein Großteil dessen, was sie sagen.
»Robert ist Schriftsteller«, sagt Cynthia. »Science Fiction. Gerade ist ein Buch von ihm veröffentlicht worden«, prahlt sie, als hätte sie das Buch veröffentlicht. »Und zwar ein gutes.«
Robert reibt sich die Stirn und lächelt ein
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