Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
Vom Netzwerk:
schiefes Lächeln, halb schüchtern, halb überheblich. Seine Augen schielen durch dicke Brillengläser, und seine Hand fährt durch sein Haar, das so lockig ist, dass sich seine Finger darin verfangen.
    »Robert Ackerman«, sagt Cynthia. »Merken Sie sich seinen Namen«, spottet sie und droht mit dem Finger.
    Robert lächelt und rollt unmutig, aber auch geschmeichelt mit den Augen. Ich lächle ebenfalls, allerdings nicht zu sehr, da die Programmleiterin erneut in meine Richtung blickt.
     
    Als ich in der darauf folgenden Woche nach dem Unterricht aus dem Gebäude mit dem Spitznamen »Katakomben« in das nieselige Grau des Hofes der Universität trete, steht Robert an einen Baum gelehnt da und wartet.
    »Nina hat mir gesagt, Sie würden hier unterrichten«, sagt er mit den Händen in den Cordhosen, wobei sein Haar winzigen Korkenziehern gleicht, die um das schmale Gesicht herum in |326| alle Richtungen ragen. Rein optisch kollidiert er mit seiner gesamten Umgebung   – mit dem Birkenstamm, gegen den er sich lehnt, mit den zarten Stiefmütterchen zu seinen Füßen, mit den rissigen, abblätternden Wänden hinter ihm   – und sieht ausgesprochen nichtrussisch aus, als wäre er aus dem Weltraum gefallen. Ich blicke mich um und vergewissere mich, dass die Programmleiterin nicht irgendwo steht und Zeugin dieses unerlaubten Kontakts zu einem Fremden nach dem Unterricht ist.
    Wir verlassen den Hof durch das Hauptgebäude, vorbei an der Marmortreppe und dem riesigen Spiegel, vor dem Nina und ich uns vor dem Unterricht zu treffen pflegen, und treten in die graue Weite des Newa-Ufers. Die Wolken hängen so tief, dass sie die Turmspitze der Admiralität auf dem gegenüberliegenden Ufer verschluckt haben; es sieht so aus, als sei das Ende der goldenen Nadel abgebrochen.
    »Es ist so feucht«, sagt Robert. »Als wäre man unter Wasser.«
    »Das ist ganz normal«, sage ich. »Das ist der Fluss, das Meer, der Sumpf, wissen Sie.« Ich bin stolz darauf, das amerikanische umgangssprachliche »you know« zu verwenden, das ich von meinem Studenten Charles gelernt habe. Ich fühle mich ausgesprochen lässig, mit einem so offenkundig ausländischen Mann   – sowohl Amerikaner als auch Jude, beides hier nicht willkommen   – an der Universität vorüberzugehen, dessen Anderssein sich in seinen langen Korkenzieherlocken, seinen gut sitzenden Cordhosen und Lederschuhen, die seine Füße nicht zu verstümmeln scheinen, offenbart. Der über all diese Unwahrscheinlichkeiten hinaus noch dazu der Autor eines veröffentlichten Buches ist.
    Wir schlendern am Ufer entlang, blicken auf die Granitplatten unter unseren Füßen und wissen nicht, worüber wir sprechen sollen.
    |327| »Und was tun Sie so, wenn Sie nicht gerade Amerikanern Russisch beibringen?«, fragt Robert nach einigen Minuten des Schweigens in seinem rastlosen amerikanischen Englisch.
    Ich bin mir nicht sicher, ob die Frage meinem offiziellen oder meinem privaten Leben gilt. Erkundigt er sich danach, was ich in der Universität tue oder was ich zu Hause tue, was ich zu meiner Englischprofessorin sage oder was ich zu Nina sage? Für welche Person interessiert er sich, für die korrekte Lehrkraft an der Universität und das Komsomol-Mitglied oder die wahre, süffisant lächelnde, zynische Person, die ich im Kreise meiner Freunde bin?
    »Ich unterrichte Englisch«, sage ich. »Grammatik, Lektüre, Konversation. Wir lesen Galsworthys ›Forsyte Saga‹. Band eins, ›The Man of Property‹.«
    Robert kichert und kratzt sich im Nacken. »Ist das nicht verdammt langweilig?«, fragt er.
    »Es legt die Auswüchse des Kapitalismus bloß«, sage ich.
    Er mustert mich durch seine dicken Brillengläser, um zu sehen, ob ich es ernst meine, um zu sehen, ob er sich lieber daran erinnern sollte, dass er in seinem Wohnheim einen Wasserkessel auf dem Herd vergessen hat, oder an irgendetwas anderes, dem er sich unbedingt widmen muss.
    »Es ist verdammt langweilig, da haben Sie recht«, sage ich und lächle ihn an. Es ist gar nicht so schwierig, zwischen den beiden Personen in mir zu wählen. Einem jüdisch-amerikanischen Autor, der beschlossen hat, unter all den Frauen der Universität, die mit Samowars und
bubliki
um ihn herumtänzeln, ausgerechnet auf mich zu warten, werde ich mein wahres Ich offenbaren.
    »Und was machen Sie, wenn Sie nicht gerade Science Fiction schreiben?«, frage ich.
    »Ich bin Physiker«, sagt Robert.
    |328| Ein »physicist«, wiederhole ich rasch in Gedanken, nicht zu

Weitere Kostenlose Bücher