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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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nie kam.
    Robert erzählt mir von Austin, Texas, wo er studiert, und Trenton, New Jersey, wo er lebt, wobei die beiden fremden Orte, die ich mir nicht vorstellen kann, in meinem Geist miteinander verschmelzen, zwei schwarze Löcher in seinem rätselhaften Universum. Er erzählt mir von den Filmen, die er gesehen hat, den Menschen, denen er begegnet ist, den Dingen, die er gekauft hat, dabei könnte er genauso gut über Atomphysik sprechen. Ich weiß nicht, was »special effects« oder »star wars« bedeutet; ich habe keine Ahnung, was eine wissenschaftliche Hilfskraft ist, und habe noch nie das Wort »Parka« gehört. Doch ich nicke und tue so, als würde ich verstehen, tue so, als wäre ich kultiviert und weltgewandt. In puncto Verstellung bin ich ein Profi; ich habe jahrelange Übung darin. Robert wird nicht misstrauisch.
    Zu Beginn der letzten Unterrichtswoche nehme ich ihn mit in unseren Hof. Er ist besser als viele andere, mit einem Spielplatz |331| in der Mitte   – einem Sandkasten und einer hohen Rutsche aus splittrigem Holz, auf der ich in den Wintern meiner Kindergartenzeit so gern gerutscht bin. Auf der immergleichen knöcheltiefen Pfütze mitten auf dem Hof schillert eine regenbogenfarbene Ölschicht; »Sojka ist ein Miststück« ist in die Wand neben der mit einem Vorhängeschloss verriegelten Tür geritzt, hinter der der unheimliche Müllmann meiner Kindheit den durch die Abfallschächte geworfenen Müll schaufelte.
    Die Abfallschächte sind mittlerweile ebenfalls mit Vorhängeschlössern versehen, und Sojka, die vor zehn Jahren tatsächlich ein Miststück war, hat ihre Mutter hier zurückgelassen und lebt inzwischen irgendwo auf der anderen Seite des Urals.
    »Möchtest du unsere Wohnung sehen?«, frage ich Robert. Wahrscheinlich verstößt es gegen die Vorschriften der Fakultät, wenn eine Lehrkraft einen kapitalistischen Studenten mit nach Hause nimmt, selbst wenn es ein Student aus einem anderen Kurs ist. Ein Besuch zu Hause muss normalerweise abgesprochen und von der Leiterin des Programms genehmigt werden, oder vielmehr von ihrem KG B-Ehemann , aber wir sind bereits hier, in unserem Hof, und es wäre unangebracht und gegen alle Regeln der Gastlichkeit, Robert nicht hereinzubitten.
    Die Haustür geht ächzend auf, wir steigen die acht Betonstufen zum Fahrstuhl empor und ich drücke auf den Knopf, um den ratternden Aufzug kommen zu lassen. Während wir neben der Reihe von Briefkästen aus Holz warten, öffnet sich die Tür zu einer Wohnung im Erdgeschoss, in der die derzeitige Hausmeisterin wohnt, eine hochgewachsene Frau mit einer Schürze aus Sackleinen. Sie scheppert mit einem Schlüsselring auf der Suche nach dem einen, mit dem die Tür zugeschlossen wird, aber die Suche zieht sich in die Länge, und obwohl ich mit dem Rücken zu ihr stehe, weiß ich, dass sie Robert anstarrt, der in unserem Wohnblock noch ausländischer wirkt als draußen auf |332| der Straße. Angesichts seiner Korkenzieherlocken und Cordhosen mit Metallnieten, wie sie noch kein sowjetischer Laden je gesehen hat, braucht die Hausmeisterin noch nicht einmal darauf zu warten, dass er den Mund aufmacht und verkündet, er sei nicht von hier.
    Endlich sinkt der Aufzug ratternd zum Erdgeschoss herab, und ich öffne die Metalltür, damit wir hineingehen können. Drinnen stinkt es nach Urin, der typische Fahrstuhlgeruch, und während sich die Kabine ruckelnd in Bewegung setzt, starren wir auf unsere Füße, unsere Rücken gegen eine Zwischenwand aus Sperrholz gepresst, die die Hälfte des eigentlichen Raumes abschneidet, so dass nur gerade zwei oder drei Leute in den Fahrstuhl passen und er genauso beklemmend ist wie alles andere auch. Ich rolle meine Zehen in den Schuhen ein, weil ich mich wegen dieser nutzlosen Zwischenwand, wegen des Uringestanks, wegen des verächtlichen Blicks der Hausmeisterin schäme. Natürlich ist dieses Gefühl dämlich; schließlich bin nicht ich diejenige, die diese Scheußlichkeit aus Sperrholz gebaut oder auf den Boden gepinkelt oder Robert mit einem verächtlichen Blick gestraft hat. Aber ich bin diejenige, die ihn all das sehen und riechen lässt. Ich bin, wie es unsere Ausbilderin für Lehrkräfte des amerikanischen Programms formuliert, die Vermittlerin beim Spracherwerb.
    Meine Mutter bügelt in der Küche, über eine alte, auf dem Tisch ausgebreitete Decke gebeugt, wobei sie sich mit ihrem ganzen Gewicht auf das schwere Bügeleisen stützt, das sie soeben auf einer Kochplatte erhitzt hat. Sie

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