Goodbye Leningrad
bügelt die Bettwäsche: Laken, Decken- und Kissenbezüge, die aus Baumwolle sind und stark knittern, wenn sie sie in der Badewanne auswringt.
»Das ist Robert aus meinem amerikanischen Programm«, sage ich, während ich ihn in die Küche winke. »Ich habe ihm |333| gerade unsere Höfe gezeigt, und dann wollte er sich eine russische Wohnung ansehen.«
Meine Mutter richtet sich auf und setzt das Bügeleisen auf einem metallenen Untersetzer ab. Obwohl sie Roberts Lächeln erwidert und nach seiner ausgestreckten Hand greift, ahne ich, was ihr durch den Kopf geht: Amerikaner wissen nicht, was sich gehört; der Etikette zufolge muss ein Mann warten, bis eine Frau die Hand ausstreckt. »Ich freue mich, Sie kennenzulernen«, sagt sie und nimmt ihre Schürze ab. »Bitte fühlen Sie sich wie zu Hause, während ich einen Tee mache.«
»In einem russischen Haushalt gehört der Tee einfach dazu«, sage ich zu Robert, der über die Aussicht hocherfreut zu sein scheint.
Meine Mutter nimmt diese Teestunde offenbar sehr ernst: Sie kramt im Schrank nach einem Glas Himbeermarmelade; sie bittet mich, die guten Tassen aus dem Zimmer meiner Schwester zu holen. Ich nutze den Auftrag dazu, Robert die Wohnung zu zeigen, und betrachte Marinas Zimmer dieses Mal mit den Augen eines Ausländers: das gewellte, knarrende Parkett, das seit Jahren nicht mehr gewachst worden ist; die Tapete mit den Blumen, die einst gelb waren; die abblätternden Fensterbretter und die Töpfe mit Aloe und den schwächelnden Trieben der Frühlingszwiebeln, die meine Mutter für den Salat abkneift.
Ich öffne die Balkontür, und der sommerliche Straßenlärm dringt ins Zimmer – Straßenbahnen, Busse und eine Schlange vor dem Wein- und Spirituosenladen, die sich um die Straßenecke windet und irgendwo unter unserem Balkon endet. »Was wird dort verkauft?«, fragt Robert auf Russisch – er spricht nur noch Russisch, stolz auf seine Endungen, derentwegen er sich die Schläfen reibt und mit den Augen blinzelt, bevor sie leicht verzerrt, doch nahezu fehlerlos aus seinem Mund taumeln.
Noch wird dort gar nichts verkauft. Die Leute stellen sich an, |334| weil sie einen neben dem Laden parkenden Lastwagen bemerkt haben. Das deutet auf eine Lieferung hin – von was genau, weiß niemand. Aber was auch immer gerade angeliefert worden sein mag, es wird nicht lange vorhalten, deshalb stehen sie da, warten und recken die Hälse in der Hoffnung, einen Blick auf das zu erhaschen, wofür sie sich anstellen. »Wahrscheinlich billiger Wodka«, sage ich. »Oder billiger Portwein. Wir nennen ihn
tschernila
, das heißt Tinte.« Robert lächelt, und ich weiß, dass er das neue Wort soeben in den Windungen seines vielseitigen Gehirns abgespeichert hat.
Ich bin beeindruckt von Roberts kaleidoskopischen Talenten, die für mich unerreichbar sind: Physik, Musik, Schreiben. Ich staune über seine Neugier, seine Bereitschaft, in meine Stadt zu reisen – eine prachtvolle Ruine, hermetisch von der restlichen Welt abgeriegelt – und sechs Wochen lang darin zu leben. Die größte Ehrfurcht habe ich vor seiner Fremdartigkeit. Ich fühle mich, glaube ich, sogar zu ihm hingezogen, und wenn nicht zu ihm als Person, dann zu seinem Anderssein, zu der geheimen, unbegreiflichen Welt, für die er steht. Jener Welt, die ich zu entschlüsseln versucht habe, seitdem ich mit zehn Jahren meine erste private Englischstunde bei Irina Petrowna hatte, der geheime, uns verschlossene Ort, wo man Englisch spricht, der Ort, den ich so gut und zugleich überhaupt nicht kenne. Alles Fremde und Faszinierende und Verlockende ist in jener Person vereint und verdichtet, die von unserem Balkon eine Warteschlange bestaunt, die für billige Tinte ansteht.
»Der Tee ist fertig!«, ruft meine Mutter aus der Küche, in die Robert und ich die auf guten Untertassen stehenden guten Tassen tragen, das Service mit dem Goldrand, das meine Mutter von ihren Eltern geerbt hat. Neben einer Schale mit Himbeermarmelade bemerke ich auf dem Tisch eine geöffnete Schachtel Pralinen, die meine Mutter aus dem geheimen Vorrat aus Mayonnaisegläsern |335| und Thunfischbüchsen hervorgeholt hat, den sie für Feiertage und besondere Anlässe aufbewahrt. Ich nehme mir eine und dann noch eine; die Pralinen haben eine weiße Patina aus Zeit angenommen, weil sie so lange im Schrank gelegen haben.
Sie fragt Robert nach dem Programm, doch ihre gedankenverlorenen Fragen lassen erkennen, dass es bloß höflicher Small Talk ist.
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