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Goodbye Leningrad

Goodbye Leningrad

Titel: Goodbye Leningrad Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Gorokhova
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für uns ein großes Privileg und eine große Ehre sein, an Ihrer Seite in diesem Fachbereich zu arbeiten«, fügt sie hinzu.
    Ich bin mir nicht sicher, ob Natalija Borisowna auch dann noch so hilfsbereit wäre, wenn sie wüsste, dass ein Student, den ich beim amerikanischen Programm, in dem ich auf ihre Empfehlung hin mitgewirkt habe, kennengelernt habe, die sowjetische Botschaft in Washington angerufen hat, um ein Visum zu besorgen, damit er mich im Dezember wiedersehen kann. Ich bin mir nicht sicher, ob sie überhaupt ihre Hilfe anbieten würde, wenn sie wüsste, dass er mir jede Woche einen Brief schickt, in dem er von seinem Leben und seiner Tätigkeit als Doktorand an der Universität von Texas berichtet. Die Geschichten über seine Assistentenstelle und seinen indischen Zimmergenossen sind mir so unbegreiflich, als seien sie in Farsi verfasst, der Sprache, die er zu erlernen versuchte, als er fünf Jahre zuvor mit dem
Peace Corps
in Afghanistan war. Ich weiß nicht, was das
Peace Corps
ist, vermute aber, dass es mit dem Weltfrieden zu tun hat, anders als unser
Haus der Freundschaft und des Friedens
, in dem ich als Sekretärin des ehemaligen Direktors gearbeitet habe.
    Wenn Du die Staaten kennenlernen möchtest
, schreibt Robert |344| in einem seiner wöchentlichen Briefe,
kann ich Dir vielleicht helfen. Vielleicht kannst Du als meine Freundin kommen, mit einem Besuchervisum
.
    Während ich das lese, sitze ich am Schreibtisch meiner Mutter und kichere. Ich weiß, ich sollte dankbar sein, und das bin ich auch, aber ich bin auch frustriert. Welche Person, die noch halbwegs bei Verstand ist, würde mir oder irgendeinem anderen innerhalb der Grenzen der Sowjetunion je gestatten, einen Freund in einem kapitalistischen Land zu besuchen? Wer würde mir gestatten, zu erkennen, dass es Lebensweisen gibt, die erleuchteter sind als unsere eigene lichte Zukunft? Die wenigen zugelassenen Austauschdelegationen, denen eine Auslandsreise bewilligt wird, werden, wie ich durch meine Arbeit im
Haus der Freundschaft und des Friedens
weiß, sorgfältig aus den eigenen Reihen ausgewählt und genauestens überprüft, um sicherzugehen, dass sie keine kompromittierenden Merkmale wie ausländische Freunde oder jüdische Verwandte aufweisen. Ein ausländischer Freund ist eine Bürde, die wir tunlichst verheimlichen, ein Handicap, das uns sogleich unzuverlässig und verdächtig wirken lässt.
    Ich denke darüber nach, was es doch für ein befreiendes Gefühl sein muss, Freunde besuchen zu können, die weder von Komsomol-Versammlungen gehört haben, auf denen über das Schicksal eines zukünftigen Touristen abgestimmt wird, noch von Persönlichkeitsgutachten, die für Reisen ins Ausland erforderlich sind, noch von unserem berüchtigten OWIR, der Visaabteilung. Die Visa, die der OWIR angeblich hin und wieder ausstellt   – nur den wenigsten Antragstellern und selbst dann nur unwillig   –, sind Ausreisevisa, ein Begriff, der Robert verwirrt dreinblicken ließ, als ich ihm auseinanderzusetzen versuchte, was unser Land unter Auslandsreisen versteht. »Man braucht ein Visum zur Ausreise?«, fragte er und kratzte sich an |345| der Stirn, dabei hatte ich gedacht, er wüsste besser Bescheid über unsere Bürokratie. »In der restlichen Welt braucht man ein Visum, um in ein anderes Land einzureisen.«
    »Wir sind anders als der Rest der Welt«, sagte ich und dachte, dass Natalija Borisowna stolz auf diese Feststellung wäre, dachte, dass ich auf irgendeine abartige Art und Weise ebenfalls stolz darauf war. »Wir müssen noch etwas anderes machen, wenn wir das Land verlassen«, sagte ich und verlieh meinem verdrehten Stolz zusätzliches Gewicht. »Wir müssen durch den Zoll. Nicht nur das, was ins Land gebracht wird, muss von Gesetz wegen durchwühlt werden, sondern auch das, was hinausgeschafft wird.«
    »Und was sollte das sein?«, fragte Robert und sah sich um.
    Ich konnte nicht umhin, eine derart unpassende Bemerkung mit einem Lachen abzutun, und suchte nach irgendeinem Beispiel für einen Exportartikel. »Rubel, beispielsweise«, sagte ich, worauf Robert nur die Nase rümpfte, als würde er den Geruch aus den Mülltonnen in unserem Hof wittern, und mich wissen ließ, dass Rubel außerhalb unserer Grenzen keinen Wert hätten. »Lackierte Schatullen aus Palech«, sagte ich und dachte dabei an die exklusiven Regale des
Berjoska -Ladens
mit all seiner Salami-Pracht und Pasternak-Poesie, in den ich in der achten Klasse einen Blick werfen

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