Google-Mitarbeiter Nr. 59
unseres Landes, 3000 Meilen weit weg. Mir kam gar nicht in den Sinn, dass ich für ein mächtiges, weltweites Informationsdienstleistungsunternehmen arbeitete – dass Google auf irgendeine Weise Unterstützung anbieten könnte.
Sergey kam herein. Er runzelte die Stirn und war sichtlich beunruhigt. Aber sein Verstand arbeitete klar. Er sah Probleme und es wäre ihm nie in den Sinn gekommen, dass wir nicht helfen könnten. Er hatte Schwierigkeiten gehabt, auf Online-Nachrichten-Organisationen zuzugreifen. Menschen, die verzweifelt auf der Suche nach Informationen waren, hatten diese derart bestürmt, dass deren Server versagten. Er wies uns alle an, mit dem Herunterladen des HTML-Codes von Nachrichtenberichten anzufangen, aus sämtlichen Quellen, zu denen wir uns Zugang verschaffen konnten. Er wollte nicht nur den Text, sondern auch die Bilder. Er hatte bereits mit unserer Webmasterin Karen und mit Craig gesprochen, einer der wenigen Techniker, der manuell Veränderungen an unserer Website vornehmen konnte. Wir würden an Seiten zusammentragen, was wir nur konnten, und sie auf Google.com unterbringen, das besser in der Lage war, große Volumen an Datenverkehr zu bewältigen als die New York Times oder CNN.com.
Niemand fragte, ob wir überhaupt berechtigt waren, Inhalte anderer anzubieten. Wir diskutierten nicht, ob die Verlinkung von zwischengespeicherten Nachrichtenberichten zu unserer Marke passte, unserer Mission oder unserer Rolle als Suchmaschine. Niemand wandte ein, dass die Links die Ästhetik unserer Homepage gefährden könnten. Die Menschen brauchten dringend Informationen und konnten sie nicht erhalten. Wir konnten diesen Menschen helfen. Es war unsere Pflicht, so zu handeln.
Damals wurde mir klar, wie sehr Sergey Google als seinen verlängerten Arm betrachtete. Es war kein gesichtsloses, an Branchentraditionen gebundenes Unternehmen. Er hatte es mit Larry geschaffen und die einzigen Regeln, denen es sich beugen musste, waren die von ihnen beiden festgelegten. So wie William Randolph Hearst und Joseph Pulitzer ihre Zeitungen geprägt hatten, so hatten auch Larry und Sergey dem Unternehmen mehr aufgedrückt als nur eine »Anzahl an Programmzeilen«. Der Unterschied bestand jedoch darin, dass die Gründer von Google die Macht ihrer »Zeitung« nutzten, um nicht nur ihre Ansichten zu verbreiten, sondern alle Ansichten.
Ich ging zu meinem Schreibtisch und checkte meine Mails. »Lebt New York?«, lautete die Betreffzeile einer Mail von Chad.
»O Gott«, dachte ich. Er hatte recht. Google hatte ein Büro mitten in Manhattan. Eric Schmidt sollte an diesem Morgen dort zu Besuch sein. Aus New York kam die Antwort, dass niemandem etwas passiert sei. Nachdem das erste Flugzeug eingeschlagen war, wurde ihr Büro nahe des Empire State Building evakuiert. Sie waren alle erschüttert und in Sorge um Freunde und Verwandte.
Endlich taute mein Gehirn auf und ich dachte über das nach, was Sergey zu tun versuchte. Mir wurde klar, dass es besser war, richtige Nachrichten abzubilden als eine zufällige Sammlung von Informationsfetzen, die man aus dem gesamten Web heruntergeladen hatte. Ich rief Martin Nisenholtz an, Leiter des New York Times -Online-Dienstes, und fragte ihn, ob er wolle, dass Google Kopien ihrer Seiten ins Netz stellte. Martin war dankbar für das Angebot, aber nachdem er Rücksprache mit seinem Webmaster gehalten hatte, lehnte er ab. Sie dachten, sie könnten den Datenstrom bewältigen.
In der Zwischenzeit hatte Karen Artikel aus der Washington Post und von CNN gesammelt und stellte sie auf eine Seite unter Google.com/currentevents. Wir brauchten einen Hinweis auf unserer Homepage, also schrieb ich schnell einen kurzen Text und gab ihn ihr. Er lautete: »Wenn Sie auf der Suche nach Nachrichten sind, finden Sie die aktuellsten Informationen im Fernsehen oder Radio. Viele Online-Nachrichtendienste sind wegen Überlastung nicht erreichbar. Unten finden Sie Links zu Nachrichten-Sites, einschließlich zwischengespeicherter Kopien der früher an diesem Tag erschienen Nachrichten.«
Ich dachte nicht weiter über die Auswirkungen dessen nach, was ich da geschrieben hatte, was während der nächsten Monate zerpflückt und beschnuppert werden würde als Zugeständnis, dass die »neuen Medien« die alten in Zeiten einer nationalen Krise noch nicht verdrängt hätten. Das war nicht meine Absicht gewesen, aber ich wusste nun mal, dass unser Web-Index nicht in Echtzeit aktualisiert wurde. Die Suche bei Google
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