GOR-Zyklus 02 - Der Geächtete von Gor
den Tarn beherrschen zu müssen oder selbst ve r schlungen zu werden. Man weiß, daß er völlig frei und bösartig ist. Ein Tarnreiter weiß, daß sich sein Tier jede r zeit gegen ihn wenden kann. Und doch kennt er kein a n deres Leben. Er steigt immer wieder auf den Vogel, steigt freudigen Herzens in den Sattel, zieht am ersten Zügel und wird mit einem Kampfschrei von seinem Monstrum in die Luft gerissen. Die herrlichen, einsamen Momente hoch über der Erde, dem Wind preisgegeben, er und der Vogel vereint, frei – das stellt er über alles Gold der Welt, über die zahllosen Zylinder Ars. Nichts kommt diesem Gefühl gleich. Man kann sich also vo r stellen, wie mir zumute war.
Unter dem Vogel ertönte plötzlich ein lautes, bebendes Stöhnen, ein hilfloser Laut.
Ich verwünschte mich, daß ich so gedankenlos gewesen war. Über der Freude an meinem Flug hatte ich unsere Beute völlig vergessen. Wie entsetzlich mußte ihr diese Reise bisher erschienen sein – sie, die von den Krallen umfaßt war, viele hundert Meter über den tharnaischen Ebenen, ohne zu wissen, ob sie nicht jeden Augenblick losgelassen oder auf irgendeinen Berg getragen wurde, um von dem monströsen Schnabel und den entsetzlichen Krallen in Stücke gerissen zu werden!
Ich sah mich um und hielt nach Verfolgern Ausschau. Die konnten nicht ausbleiben; ich mußte mit Fußtruppen und Tarnkämpfern rechnen. Tharna unterhielt keine gr o ße Tarn-Kavallerie, doch die Stadt würde mindestens e i ne Kompanie in die Luft bringen, um die Tatrix zu retten und zu rächen. Die Männer Tharnas, die von Geburt an dazu erzogen sind, sich als minderwertig und unterlegen anzusehen und die bestenfalls Lasttiere abgeben, sind keine sehr guten Tarnkämpfer. Und doch gab es Tarnre i ter in Tharna, gute Tarnreiter, denn der Name dieser Stadt genoß Respekt unter den kriegserfahrenen gorean i schen Städten. Ihre Tarnkämpfer mochten Söldner sein oder Männer wie Thorn, Offizier Tharnas, die sich trotz ihrer Erziehung das Selbstbewußtsein und ein Minimum an Kastenstolz bewahrt hatten.
Doch ich suchte den Himmel vergeblich ab. Es war noch keiner von den winzigen Flecken zu erkennen, die mir anzeigten, daß andere Tarns gestartet waren. Der Himmel war blau und leer. Längst hätte der letzte Tar n kämpfer der Stadt in der Luft sein müssen – doch ich sah nichts.
Erneut stöhnte meine goldene Gefangene auf.
In vierzig Pasang Entfernung machte ich einige Fel s spitzen aus, die sich in einer großen Ebene voller Tale n derblumen erhoben. Nach etwa zehn Minuten hatte ich die Felsformationen erreicht.
»Vierter Zügel!« rief ich.
Der gewaltige Vogel verhielt im Flug, bremste mit den Flügeln ab und senkte sich anmutig auf eine der Erh e bungen, eine hohe Felskante, von der man viele Pasang weit ins Land schauen konnte, ein Ort, der nur einem Tarn zugänglich war.
Ich sprang vom Rücken des Ungeheuers und eilte an die Seite der Tatrix, um sie zu beschützen, falls der Tarn seinen Hunger sofort stillen wollte. Ich zerrte die z u sammengekrümmten Krallen von ihrem Körper, redete dem Tarn dabei zu und schob seine Beine zur Seite. Der Vogel schien verwirrt zu sein. Hatte ich ihn nicht mit dem Tabuk-Schrei angefeuert? Durfte er die Beute, die er geschlagen hatte, nun nicht auffressen? Was sollte das?
Ich schob den Tarn zurück, soweit es mir möglich war, und umfing die Tatrix mit den Armen. Vorsichtig richtete ich sie auf und lehnte sie an die Felswand, vom Abgrund fort. Der Felsvorsprung, auf dem wir uns befanden, war etwa sechs Meter breit und ebenso lang, eine Stelle, wie sie sich der Tarn gern zum Nestbau aussucht.
Ich stellte mich zwischen die Tatrix und den geflüge l ten Fleischfresser und rief: »Tabuk!« Der Vogel schritt auf das Mädchen zu, das sich auf die Knie erhob und sich furchtsam an die unnachgiebige Felswand drückte.
»Tabuk!« rief ich noch einmal, nahm den großen Schnabel des Vogels in die Hände und drehte ihn zur Se i te, zum Abgrund hin.
Der Vogel schien zu zögern. Mit einer fast zärtlichen Bewegung stupste er mir dann seinen Schnabel gegen den Körper. »Tabuk«, wiederholte ich leise.
Mit einem letzten Blick auf die Tatrix wandte sich der Vogel ab und trat an den Rand des Abgrundes. Mit einem kurzen Aufzucken seiner riesigen Flügel sprang er dann ins Nichts, und sein gewaltiger Schatten verschwand.
Ich wandte mich an die Tatrix.
»Bist du verletzt?« fragte ich.
Manchmal schlägt ein Tarn so kräftig zu, daß das Rückgrat seines
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