Gordon
Arme nehmen. Er rührte sich nicht.
Ich legte mich auf die Seite und versuchte, meinen Körper um seinen zu legen. Er blieb ausgestreckt, wie er war, und ich musste den Versuch aufgeben. Ich drehte ihm den Rücken zu in der Hoffnung, dass er es als angenehm empfinden würde, mit seinem Körper eine Mulde zu bilden, in die ich mich hineinschmiegen könnte. Er blieb so, wie er war.
Dann warf ich mich halb auf ihn und legte den Kopf in die harte Vertiefung zwischen seinem Hals und seinem Schlüsselbein. Er rührte sich nicht. Nur seine gesenkten Lider schlossen sich noch fester über seine Augen. Ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte noch nie zuvor gewusst, was es heißt zu zittern, ich hatte nur davon gehört und darüber gelesen.
Ich lag da und konnte mein Zittern nicht unterdrücken.
Er sagte: »Mein liebes Kind.« Mein Zittern hörte auf. Er hatte mich noch immer nicht geküsst, umarmt oder liebkost. Ich schlief augenblicklich ein.
Als Teenager pflegten meine Cousine Sylvia und ich in den Weihnachts- und Osterferien in die Berge zu fahren, und wir sagten uns immer, dass wir in den Bergen anders schliefen als zu Hause. Zu Hause schliefen wir »langsam«, wie wir es nannten, und in den Bergen »schnell«. Damit meinten wir, dass wir zu Hause beim Aufwachen das Gefühl hatten, die zum Ausruhen erforderlichen vielen, langen Stunden durchgeschlafen zu haben; in den Bergen hingegen schliefen wir zwar genauso lange, dennoch waren wir beim Aufwachen, obwohl wir uns frisch und ausgeruht fühlten, davon überzeugt, lediglich eine Viertelstunde lang geschlafen zu haben.
In dieser ersten Nacht, die ich bei ihm verbrachte, schlief ich ebenfalls »schnell«, und dieser Eindruck hielt auch während all der vielen anderen Nächte an, in denen ich, auf seinem unbequemen Körper ruhend, das Bett mit ihm teilte.
Als ich am Morgen die Augen öffnete, saß er auf der Bettkante, vollständig angezogen, gestiefelt und gespornt.
»Stehen Sie auf, und machen Sie sich fertig«, sagte er. »Ich bringe Sie jetzt nach Haus.«
Ich zog mich an, und dann ging ich in den Flur, stellte mich vor den hohen Spiegel und frisierte mich hastig und unordentlich mit meinem – völlig unzureichenden – kleinen Taschenkamm. Mein Make-up hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst, und ich hatte nichts dabei, um es aufzufrischen, und obwohl ich einen Lippenstift in der Handtasche hatte, verzichtete ich darauf, ihn zu benutzen, da ich sicher war, dass das Rouge auf meinen Lippen meinen ungepflegten Zustand nur noch unterstrichen hätte.
Ich kehrte ins Zimmer zurück. Er saß an seinem Schreibtisch und blätterte irgendwelche Papiere durch. Ich war froh, dass er mich nicht ansah, und setzte mich auf das Sofa.
Nach einer Weile sagte er, ohne die Augen zu heben: »Sind Sie fertig?«
»Ja«, sagte ich.
»Warum sagen Sie es dann nicht?«, fragte er.
»Ich wollte Sie nicht stören«, sagte ich.
»So, so«, sagte er. »Und wenn ich noch eine Stunde hier gesessen hätte, hätten Sie dann trotzdem nichts gesagt?«
»Natürlich nicht«, sagte ich.
»So, so«, bemerkte er, indem er aufstand und mich mit einem langen Blick bedachte. »Jetzt gehen wir«, fügte er hinzu.
Ich schlug die Augen nieder. Ich war wütend. Ich hatte zugegeben, dass er der Herr war und dass ich mich als die Befehlsempfängerin ansah.
Erst als er »Kommen Sie, mein armes Kind« sagte, schwand mein Groll dahin, und ich fand meinen inneren Frieden wieder.
Bevor wir aus dem Haus gingen, reichte er mir seine Karte, und ich steckte sie in meine Handtasche, ohne einen Blick darauf zu werfen.
Unterwegs sprach er kein Wort, genauso wenig wie ich.
Als wir uns an meiner Haustür trennten, sagte er: »Sie sind heute um drei bei mir«, und ging, ohne meine Antwort abzuwarten und ohne sich von mir zu verabschieden.
In meinem Zimmer angekommen, sah ich auf die Uhr. Es war erst halb neun. Wenn ich allein gewesen wäre, hätte ich bis zehn geschlafen.
Zum Teufel mit ihm, sagte ich zu mir. Als Erstes würde ich in die Badewanne gehen – das hatte ich jetzt bitter nötig – und dann frühstücken, aber anstatt mich sofort auszuziehen, ging ich hinüber zum Spiegel und sah mich, beunruhigt über mein schlampiges Aussehen, lange aufmerksam an und überlegte hin und her, ob es ihn wohl abgestoßen hatte. Zum Teufel mit ihm, wiederholte ich und fügte dann hinzu: Als ob das irgendeine Rolle spielte! Was kümmert’s mich.
Es war Samstag, und ich nahm an, das sei der Grund, warum er schon so
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