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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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wir aus.«
    Ich setzte mich auf das Sofa, und er holte einen Stuhl heran und setzte sich mir gegenüber hin.
    Er sagte: »Sie hatten sich schon immer gewünscht, Ihr Haar lang zu tragen, aber Ihre Mutter erlaubte es Ihnen nicht.« Er sah mich an.
    Ich senkte den Kopf.
    Er fuhr fort: »Und dann haben Sie, kaum dass Sie aus dem Haus waren, angefangen, sich die Haare wachsen zu lassen, stimmt’s?«
    »Nein, natürlich nicht!«, sagte ich bissig.
    Er ignorierte meinen unhöflichen Ton. »Wann dann?«, fragte er.
    »Müssen Sie wirklich so darauf herumreiten?«, fragte ich.
    »Ja, muss ich«, sagte er. »Jetzt kommen Sie schon. Wann haben Sie es sich wachsen lassen?«
    »Nach meiner Heirat«, sagte ich mit resignierter Stimme und schürzte die Lippen in der Hoffnung, ihm klar zu verstehen zu geben, wie albern ich ihn fand und dass er es nur meiner außerordentlichen Freundlichkeit zu verdanken hatte, dass ich ihm überhaupt eine Antwort gab.
    Wieder ignorierte er meine Impertinenz.
    »Sehr schön«, sagte er. »Unmittelbar nach Ihrer Heirat?«
    »Nein«, sagte ich.
    »Wie lange nach Ihrer Heirat?«, fragte er.
    »Nach vier Jahren«, sagte ich.
    »So, so«, bemerkte er. »Und was geschah sonst, vier Jahre, nachdem Sie geheiratet hatten?« Er beobachtete mich jetzt wieder mit diesem hungrigen, kalt faszinierten Ausdruck, als lauerte er auf etwas.
    »Nichts geschah«, sagte ich eingeschnappt.
    »Wann haben Sie Ihren Mann verlassen?«, fragte er.
    »Ungefähr ein Jahr danach«, sagte ich.
    »Ein Jahr wonach?«, fragte er, ohne die Augen von mir zu wenden.
    Ich sagte: »Nachdem ich – nachdem –, ach, lassen Sie mich in Frieden!«
    Er beugte sich vor und versetzte mir mit der flachen Hand einen festen Hieb auf den Arm. »Das nächste Mal schlage ich fester zu. Los. Nachdem Sie was?«
    »Nachdem – nachdem ich ihn nicht mehr ließ«, sagte ich, meinen Arm haltend, und wandte das Gesicht ab.
    »Nach vier Jahren Ehe haben Sie Ihrem Mann nicht mehr erlaubt, Geschlechtsverkehr mit Ihnen zu haben. Meinen Sie das?«
    »Ja!«, schrie ich. »Soll ich’s Ihnen in dreifacher Ausfertigung geben, oder was?!«
    »Und nach vier Jahren Ehe haben Sie angefangen, sich die Haare wachsen zu lassen.«
    »Ja«, sagte ich, »das habe ich Ihnen doch schon gesagt! Wie oft soll ich es Ihnen denn noch sagen?«
    Er sah mich mit einem hocherfreuten Lächeln an. »Sie sagen, Sie haben aufgehört, mit Ihrem Mann Verkehr zu haben«, bemerkte er, »sind aber noch ein weiteres Jahr bei ihm geblieben. Nun, warum war das so?«
    »Ich hatte das Gefühl, ich hätte nicht das Recht, einfach so zu verschwinden. Aber dann wurde er während des letzten Jahres unerträglich. Ich weiß wirklich nicht, warum. Und so fühlte ich mich berechtigt, ihn zu verlassen.«
    »So, so«, sagte er. »Sie haben gewartet, bis er unerträglich wurde, so dass Sie ihn guten Gewissens verlassen konnten, richtig?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Sie haben ihn dazu gebracht, unerträglich zu sein.«
    »Das ist ja lächerlich!«, rief ich. »Das habe ich nie gesagt. Das ist nicht wahr!«
    »Ach nein? Was dachten Sie denn, was Sie taten, als Sie ihm nicht gestatteten, mit Ihnen ins Bett zu gehen?«
    »Nichts«, sagte ich. »Ich habe gar nichts gedacht. Wie auch immer, ich habe ihm nichts angetan. Und ich habe immer gekocht und die ganze Hausarbeit gemacht, also hatte er überhaupt keinen Grund, ein solches Scheusal zu sein.«
    »Aber begreifen Sie denn nicht, was Sie da getan haben?«, sagte er. »Begreifen Sie denn nicht, dass es für einen Mann entsetzlich ist, wenn er mit seiner Frau nicht schlafen darf?«
    »Darüber habe ich nie nachgedacht«, sagte ich. »Wirklich nicht. Ehrlich.«
    »Sie brauchen nicht ›ehrlich‹ zu mir zu sagen«, bemerkte er. »Ich werde mir schon mein eigenes Urteil über Ihre Ehrlichkeit bilden.«
    »Das ist zu viel!«, sagte ich und stand auf. »Glauben Sie vielleicht, ich lüge, oder was? Ich würde mir gar nicht die Mühe machen, Sie anzulügen! Sie sind es nicht wert, dass man Sie anlügt, mit all den gemeinen Fragen, die Sie stellen! Und wenn ich sage, es ist wahr, dann ist es wahr. Ich werde doch wohl wissen, was ich denke!«
    »Setzen Sie sich. Und reden Sie keinen solchen Blödsinn«, sagte er. »Wie könnten Sie Ihre Gedanken kennen? Sie wissen nicht einmal, wo sie herkommen. Sie können sie nicht einmal kontrollieren. Sie können nicht einmal Ihre eigenen Erinnerungen kontrollieren.«
    Ich setzte mich wieder hin.
    Seine Fragen waren genauso, wie sein

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