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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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geschlossenen Augen da und sagte lustlos: »Ja, natürlich, ich war ein Kind. Sie machen wirklich erstaunlich dumme Bemerkungen«, und ich fing an zu lachen.
    »Was finden Sie jetzt zum Lachen?«, fragte er.
    »Mir ist etwas eingefallen«, sagte ich, »eine Zeile aus einem Gedicht von Kästner. Auf Deutsch. Sie würden sie nicht verstehen.«
    »Ich verstehe durchaus ein wenig Deutsch«, sagte er. »Na los.«
    Ich sagte: »Ich wurde einst als Kind geboren und lebte dennoch weiter.«
    »Das ist sehr geistreich«, sagte er, »aber Sie lenken ab. Warum erlaubte Ihnen Ihre Mutter nicht, das Haar lang zu tragen?«
    »Ich dachte schon, Sie hätten es mittlerweile vergessen«, sagte ich.
    »Aber nein«, sagte er, »und warum wollten Sie das Haar lang tragen?«
    »Ich wollte es, weil sie es auch so getragen hatte, als sie klein war. Warum durfte ich es also nicht, wenn sie es gedurft hatte? Das war ungerecht. Und es gab einen Tag im Jahr, da hatte meine Mutter das Haar lang und offen tragen dürfen. Das war an Kaisers Geburtstag. Sie hatte alles. Und als ich geboren wurde, 1918, war der alte Kaiser Franz Joseph tot, und das Kaiserreich wurde aufgelöst, und wir lebten in einer Republik mit einem Präsidenten, und der hätte sich natürlich nie getraut, Geburtstag zu haben. Sie hatte alles, und ich hatte nichts. Weder den Kaiser noch die langen Haare.«
    »Aber das ist doch alles so lange her«, sagte er. »Warum meinen Sie noch immer, es sei besonders schön, langes Haar zu haben?«
    »Wegen der Kaiserin Elisabeth«, sagte ich, »der Kaiserin von Österreich. Sie trug ihr Haar in einer Flechtenkrone, viel höher als meine, und sie war die schönste Frau ihrer Zeit. Selbst Kaiserin Eugenie war gemessen an ihr eine Vogelscheuche.«
    Er sagte: »Und Sie stellen sich vor, Sie seien Kaiserin Elisabeth. Und Sie würden gern Ihr Haar für den Kaiser öffnen. Kein Mann sieht eine Frau mit offenem Haar, außer wenn er mit ihr ins Bett geht. Für mich wollten Sie Ihr Haar nicht öffnen. Ich musste es selbst tun. Sie möchten das für den Kaiser aufsparen.«
    Ich öffnete die Augen. Er wirkte amüsiert. Ich wandte das Gesicht zur Wand.
    »Seien Sie nicht so ein Idiot!«, sagte ich. »Das ist eine widerliche Angewohnheit, die Sie da haben. Zuerst sagt man etwas absolut Harmloses und Gewöhnliches, und dann verdrehen Sie es, bis es unanständig und ungewöhnlich klingt!«
    »Genau, wie ich mir gedacht hatte«, sagte er. »Ich wusste auf Anhieb, dass uns Ihr langes Haar viel Freude bereiten würde. Wir werden weiter über dieses lange Haar reden.«
    »Wie lange denn?«, fragte ich. »Die nächste halbe Stunde lang?«
    »O nein«, sagte er, »länger.«
    »Zwei Stunden lang?«, fragte ich.
    »O nein«, sagte er, »länger.«
    Ich drehte mich um und setzte mich auf. »Also wie lange nun?«, fragte ich.
    »Wenigstens sechs Wochen lang«, meinte er, »würde ich schätzen.«
    »Sechs Wochen lang«, fragte ich, »über nichts anderes als mein langes Haar reden?«
    »Ja«, sagte er.
    »Sie nehmen mich auf den Arm!«, rief ich aus.
    »Ich versichere Ihnen, mein armes Kind, es ist mein voller Ernst«, sagte er.
    »Und es würde Sie nicht langweilen?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte er.
    »Aber was gibt es denn darüber zu reden?«
    »Sie würden sich wundern!«, sagte er. »Aber jetzt werden Sie schlafen. Na los, stehen Sie auf, und gehen Sie zuerst ins Bad.«
    Ich spürte, wie ich glühend rot wurde. Ich war schrecklich verlegen. Ich blieb so, wie ich war, in der Hocke, das Laken krampfhaft bis unter das Kinn hochgezogen.
    Er betrachtete mich ernst und aufmerksam. »Und ich meine damit nicht, dass Sie sich waschen gehen sollten«, sagte er. »Sagen Sie mir, wie Sie es nennen.«
    »Einen Penny ausgeben«, sagte ich.
    »Nein, ›einen Penny ausgeben‹ ist nicht richtig«, sagte er, »weil es ein englischer Ausdruck ist, und Englisch ist nicht Ihre Muttersprache. Wie haben Sie es als kleines Kind genannt?«
    »Lu-lu«, sagte ich lachend, um meine Verlegenheit zu überspielen.
    »Das ist besser«, sagte er. »Gehen Sie lu-lu-en.«
    »So sagt man das nicht«, sagte ich, vom herrlichen Gefühl meiner Überlegenheit durchdrungen. »Man lu-lu-t nicht. Man macht es.« Und dann, da er mich weiterhin ernst und aufmerksam betrachtete, verfiel ich wieder in meine Befangenheit. »Wie auch immer«, sagte ich, »ich will nicht. Ich muss gar nicht. Lassen Sie mich in Ruhe.«
    »Ich werde viel Arbeit mit Ihnen haben«, sagte er. »Jetzt kommen Sie schon. Sie haben

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