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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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ihr nicht widersprochen; es lag, wie er einräumen musste, im Bereich des Möglichen. Als das Kind erschien, wusste er sofort, dass es wirklich seines war, »keine Frage, es war ein schwarzhaariger Bastard«, und die Mutter holte einen Ring aus ihrer Handtasche, steckte ihn sich an den Finger und verkündete den Schwestern, die sich um ihr Bett versammelt hatten, sie sei Mrs. Sowieso, sie habe vor einiger Zeit geheiratet und habe alle damit überraschen wollen.
    »Eigenartig«, sagte ich. »Warum tat sie das?«
    »Erklären Sie es mir«, sagte Gordon.
    »Aus Rache«, sagte ich. »Sie war in Sicherheit, aber sie wollte Sie nicht ohne einen Denkzettel davonkommen lassen.«
    »Aus Spaß an der Freude«, bemerkte er.
    Es fiel mir, wie schon früher, auf, dass sich alle Geschichten, die er als »amüsant« bezeichnete, um Schmerz und Peinlichkeiten drehten, genauso wie der Zwischenfall mit dem Taschendieb im Club in der Brook Street hochgradig peinlich gewesen war. Unter »Spaß« verstand er Zerstreuungen in der Art, die sich einstellten, wenn man Trapezkünstlern bei ihrem konstanten Spiel mit dem Tod zusah.
    »Ich bin neugierig, was Sie mir eines Tages antun werden«, bemerkte er.
    »Machen Sie sich nicht lächerlich«, sagte ich. »Meinen Sie etwa, ich sei wie diese Krankenschwester mit ihrer theatralischen Eröffnung in allerletzter Minute?«
    »O nein, so plump sind Sie nicht!«, sagte er, »trotzdem kann ich eine gewisse Neugier nicht abstreiten.«
    »Dann behalten Sie Ihre Neugier gefälligst für sich«, sagte ich böse. »Sie machen mich mit Ihren idiotischen Geschichten ganz depressiv.«
    »Mumpitz«, sagte er, »Sie sind nicht depressiv. Sie wissen gar nicht, was das Wort bedeutet. Was Sie meinen, ist, dass Sie genug davon haben oder dass es Ihnen, wie man so schön sagt, zum Hals heraushängt.«
    Ich blieb stumm und flocht weiter an meiner Grashalmkette.
    Er fuhr fort: »Und dabei bin ich so gut zu Ihnen. Finden Sie nicht? Ich verpflege Sie und spendiere Ihnen Drinks und bin Ihnen gefällig, und hier sitze ich, ein hoch qualifizierter Mann, und höre mir Ihr kleinmädchenhaftes Geplapper an. Genau wie ein liebevoller Vater.«
    Ich setzte mich aufrecht hin, warf die Grashalmkette fort und biss die Zähne zusammen.
    »Warum sind Sie so ärgerlich?«, fragte er. »Ich könnte doch wirklich Ihr Vater sein. Ich bin achtundvierzig, zwanzig Jahre älter als Sie.«
    Ich sagte: »Ich weiß. Aber ich habe das noch nie so betrachtet. Können wir nicht endlich etwas trinken gehen?«
    Er sagte: »Ja, können wir, mein armes Kind. Ich werde Sie jetzt erst mal in Ruhe lassen«, und in seine nörglerische Cockney-Stimme verfallend: »Ich tu alles, um’s einer Frau recht zu machen! Ah, ihr seid entsetzlich, ihr Weiber!«
    Ich sah zu ihm auf. »Tut mir Leid«, sagte ich.
    »Was?«, fragte er.
    »Dass ich so reizbar bin«, sagte ich. »Das war ich früher nie. Und ich bin nie aufgebraust. Das ist erst, seitdem ich Sie kenne – ich weiß auch nicht –, ich verstehe das gar nicht.«
    »Ja, ich weiß«, sagte er, »und natürlich wissen Sie nicht. Sie können es nicht verstehen. Aber ich verstehe es. Es ist völlig in Ordnung.«
    »Dann sind Sie also nicht böse auf mich?«, fragte ich. »An Ihrer Stelle wäre ich furchtbar böse auf mich.«
    »Ich bin nicht böse«, sagte er »Sie sind für mich die reine Freude. Jetzt kommen Sie, geben Sie mir Ihre Kette. Haben Sie sie für mich gemacht?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Und werden Sie mir den Traum erzählen, den Sie mir verschwiegen haben?«
    »Ja«, sagte ich.
    »Mein süßes Kind.«

 
     
    6. KAPITEL
     
     
     
    GORDON SAGTE MIR, ER SEI AM FOLGENDEN Abend bei Dr. Crombie eingeladen und ich solle am Tag darauf um sechs zu ihm kommen.
    Mittlerweile hatte ich mir, obwohl Gordon ihn mir nie beschrieben hatte, ein klares Bild von Dr. Crombies Aussehen zurechtgelegt.
    Dr. Crombie war sechs Fuß groß. Er hatte ein rundes, fleischiges Gesicht, einen kurzen Hals, rote Backen und geriet leicht in Zorn. Er hatte eine Knollennase, kleine argwöhnische Augen und ein kühles, steifes und reserviertes Auftreten. Er ließ sich nie auf Diskussionen ein, da er davon überzeugt war, immer im Recht zu sein. Er mochte Schmeicheleien, obwohl er vorgab, dafür unzugänglich zu sein. Jahrelang tauchte dieses Bild in meinem Geist auf, wann immer ich an Dr. Crombie dachte.
    Dann gab es die Krankenschwester mit dem »Schauen Sie sich das Hündchen an«. Sie war eine gutartige dralle junge Person mit

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