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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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froh, dass ich vom Sofa weggekommen war und frische Luft atmen konnte.
    Ich sagte zu mir: »Früher oder später musste es ja wohl herauskommen. Und er hat nicht mal gesagt, ich dürfte ihn nicht wieder sehen.«
    Nachdem er gesagt hatte, dass wir ins Shepherds gehen würden, war Gordon, mit gesenktem Kopf und zu Boden gerichteten Augen, schweigend neben mir hergegangen. Jetzt, wo wir stehen geblieben waren, sagte er noch immer nichts, und ich fing aus meiner Erleichterung heraus an, sinnlose Bemerkungen zu machen. Ich hatte gerade gesagt: »Das ist seit fünf Minuten schon die dritte Nummer zwei, die in die falsche Richtung fährt«, als er sich zu mir wandte und beiläufig fragte: »Wie viele Abtreibungen haben Sie schon gehabt?«
    Mir blieb die Luft weg.
    »Eine«, sagte ich dann.
    Er schlug mir mit der flachen Hand ins Gesicht und sagte mit sehr leiser Stimme: »Lügen Sie mich nicht an.«
    »Zwei«, sagte ich.
    »Schon besser«, sagte er. »Und das nächste Mal schlage ich fester zu. Hier ist unser Bus.«
    Das war mir noch nie passiert, und erst recht nicht auf offener Straße, vor den Augen der Passanten. Ich war verblüfft, wie gelassen ich es hinnahm. Ich hätte ohne weiteres schreien, weinen, eine Szene machen können, und der Gedanke musste ihm ebenfalls gekommen sein. Als ich jetzt sah, wie gleichgültig er diese Möglichkeit in Kauf genommen hatte, sagte ich zu mir: ›Es hat keinen Sinn, er gewinnt ja doch immer‹, und mich durchfuhr ein Schauder köstlicher Befriedigung.
    Während wir die Park Lane entlangfuhren, hielt ich unentwegt Ausschau nach der Haltestelle Curzon Street, und als wir uns ihr näherten, sagte ich: »Ich glaube, hier müssen wir aussteigen.«
    Gordon wandte sich zu mir und sagte mit der sehr lauten Stimme eines etwas schwerhörigen zornigen alten Generals: »So ist es, so ist es! Müssen Sie es mir sagen? Glauben Sie, ich bin blind, oder was? Wenn Sie es gesehen haben, habe ich es auch gesehen. Können Sie denn nie den Mund halten und das Gequassel unterlassen, Frau?«
    Als wir den vorderen Ausgang erreicht hatten, folgten uns bereits sämtliche Passagiere mit den Augen, manche grinsend, manche mit eisiger Miene. Ich glühte vor Beschämung und lachte gegen meinen Willen. Seine Art von Humor wirkte sich bei mir genauso aus wie alles Übrige an ihm: Sie demütigte mich, und gleichzeitig genoss ich sie.
    Das Shepherds war überfüllt, und wir blieben nicht lange. Als wir gingen, blieb er vor dem Antiquitätenladen auf der anderen Straßenseite stehen und sagte: »Das Alte und das Schöne. Da wären wir also wieder.«
    »Natürlich«, sagte ich. »Ich glaube nicht, dass das Geschäft je umziehen wird, ebenso wenig wie das Shepherds.«
    »Versuchen Sie nicht ständig abzulenken!«, sagte er. »Ich meinte diese große Liebe Ihres Lebens. Er ist alt, und er ist schön, nicht wahr? Aber Ihre Liebe zum Alter muss tiefere Wurzeln haben, meinen Sie nicht auch?«
    »Ich habe noch nie darüber nachgedacht«, sagte ich.
    »Na, wir werden ja sehen«, sagte er. »Ich werde ihn vor Ihren Augen zerpflücken«, und als ich ihn verblüfft und ungläubig ansah, wiederholte er in schnodderigem Ton: »O ja, ich werde ihn zerpflücken!«
    Zunächst sagte ich mir, in meine gewohnte Angstreaktion verfallend: ›Er hat wirklich merkwürdige Augen‹, bis ich, um mein Unbehagen zu überwinden, frech und herausfordernd wurde. Ich sagte: »Wie auch immer, Sie können wirklich von Glück reden, dass ich so gute Manieren habe. Ich hätte in der Baker Street eine fürchterliche Szene machen können. Ich hätte das ganze Viertel zusammen schreien können.«
    »Warum haben Sie es nicht getan?«, fragte er.
    »Weil ich wohlerzogen bin«, sagte ich. »Wenn ich als Kind schrie oder heulte, bekam ich eine Ohrfeige, damit ich einen Grund zum Weinen hatte.«
    »Genau, wie ich mir gedacht hatte«, bemerkte er. »Aber wenn Sie damals ein anderes Kind schlug, dann haben Sie doch wohl zurückgeschlagen, oder?«
    »Natürlich!«, sagte ich.
    »Sie sind eine reine Freude«, sagte Gordon.

 
     
    7. KAPITEL
     
     
     
    I N DER N ACHT , NACHDEM ICH IHM zum ersten Mal von Derek O’Teague erzählt hatte, packte mich Gordon bei den Haaren, riss meinen Kopf hoch, und ich wachte vom Schmerz auf. Die Nachttischlampe brannte.
    »Sie werden mir hier nicht schlafen!«, sagte Gordon. »Sie sind zu meinem Vergnügen hier. Reden Sie!«
    Ich setzte mich auf, und er sagte: »Reden Sie einfach. Alles, was Ihnen so einfällt.«
    Und als ich

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