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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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Diskussionen.
    Mein Mann kam herein.
    »Jetzt bin ich so weit«, sagte er. »Ich dachte schon, er hört überhaupt nicht mehr auf zu reden. Hat mir sogar erzählt, wie das Wetter in letzter Zeit bei ihnen in London gewesen ist – und alles für drei Pfund pro drei Minuten. Ein Glück, dass ich ihn nicht angerufen hatte.«
    »Wer war’s?«, fragte ich. »Dieser Mann von Sotheby’s?«
    »Ja«, sagte er. »Für ihn ist die Schrift noch nicht erfunden worden. Ich habe ja schon immer gesagt, dass er Analphabet ist. An seine Sachen kommt er, indem er Nadeln in Kataloge sticht. Sollen wir gehen?«
    »Ja«, sagte ich, »und übrigens – «
    Ich verwendete das Wort »übrigens«, mit dem man normalerweise einen Gegenstand von eher untergeordneter Bedeutung einführt, doch was ich zu sagen hatte, war für mich von allergrößter Wichtigkeit. Von so verzweifelter Wichtigkeit, dass ich dafür bereit war, meine Ehe und all die damit einhergehende Sicherheit aufs Spiel zu setzen.
    »Und übrigens«, sagte ich, »wollte ich dir sagen, dass ich nach London muss.«
    »Warum?«, fragte mein Mann.
    »Ich muss einfach«, sagte ich.
    »Aber warum?«, fragte er. »Was hast du für einen Grund?«
    Ich schwieg.
    »Wozu?«, fragte er.
    »Ich muss hier raus«, sagte ich.
    »Aber warum nach London?«, fragte er. »Weil ich gerade einen Anruf aus London hatte? Und wenn er aus Rom gewesen wäre, würdest du dann sagen, du musst nach Rom? Oder was?«
    »Ich muss aus dem Haus und dem häuslichen Leben raus«, sagte ich.
    »Na schön«, sagte er, »aber wenn du dem Madrider Winter entkommen willst, warum fährst du dann nicht nach Malaga oder auf die Kanaren? Du könntest mit Lady Ellis fahren, sie reist in ungefähr einer Woche ab. Auch die Da Costas fahren. Er natürlich nicht, aber die Frau und die Schwiegermutter.«
    »Nein«, sagte ich, »ich will nach London.«
    »Aber warum?«, fragte er.
    »Ich möchte meine Freunde besuchen«, sagte ich, »und ein paar Einkäufe machen.«
    »Aber du bist doch gerade erst da gewesen«, sagte mein Mann, »wir sind – wann war das? – Oktober, Anfang November in London gewesen. Vor drei Monaten. Du hattest all das doch erst vor drei Monaten.«
    »Da habe ich keine Gelegenheit gehabt, mich mit irgend jemandem in Ruhe zu treffen«, sagte ich. »Ich musste die ganze Zeit mit dir durch die Gegend ziehen.«
    »Du musst verrückt sein«, sagte mein Mann, »davor warst du vier Jahre lang nicht in London. Und es hat dir nie gefehlt.«
    »Das stimmt«, sagte ich, »aber jetzt muss ich hin.«
    »Du bist verrückt«, sagte mein Mann. »Sieh mal. Es ist sowieso schon spät. Und nun musst du jetzt damit kommen. Gerade jetzt. Zuerst dieses lange Ferngespräch und jetzt das. Wie der Boiler, der immer Samstagabends durchbrennt, aber nie unter der Woche. Wir diskutieren später darüber.«
    »Es gibt nichts zu diskutieren«, sagte ich, »und ich fühle mich tatsächlich wie der ausgebrannte Boiler.«
    »Du bist verrückt«, sagte mein Mann. »Wenn du in London bist, tu mir einen Gefallen, ja? Geh zu einem Psychiater, und sag ihm einfach, dass du verrückt bist.«
    »Gut«, sagte ich.
    »Und sag der Köchin, sie soll die großen Lichter anlassen«, sagte er. »Letzte Nacht hat sie es schon wieder vergessen.«
    »Gut«, sagte ich und folgte ihm hinaus in den Flur.
    Ich konnte nicht erkennen, inwieweit mein Mann begriff, wie verzweifelt entschlossen ich war, nach London zu fahren. Aber etwas von meiner Verzweiflung muss er doch gespürt haben, denn in den folgenden Tagen fragte er mich lediglich, ob ich bei meiner Cousine Sylvia wohnen würde. Ich sagte nein, weil sie nicht genügend Platz habe, und dass ich ein Hotelzimmer reservieren würde.
    Seit meiner rund vier Jahre zurückliegenden Hochzeit war ich nicht mehr allein gereist, und ich war darauf vorbereitet gewesen – hätte mein Mann mir meinen Wunsch abgeschlagen –, meinen Schmuck hinter seinem Rücken zu verkaufen, um die Reise finanzieren zu können.
    Das Herz schlägt ununterbrochen, und man merkt nichts davon. Erst wenn man sich dessen bewusst wird, klagt man über Herzklopfen.
    Genauso hatte ich bis dahin meinen Kummer wegen Gordon mit einer stillen und beständigen Hoffnungslosigkeit ertragen, ohne dass ein Tag verging, an dem ich nicht hätte an ihn denken müssen, und ohne dass ich es als etwas Ungewöhnliches empfunden hätte.
    Bis plötzlich, eines Morgens, kurz nach unserer Rückkehr aus London Anfang November, mein Kummer in leidenschaftliche Trauer

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