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Gordon

Gordon

Titel: Gordon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Templeton
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mit Ihnen weitermachen«, und als ich stumm blieb, fügte er hinzu: »Aber es muss Schluss sein. Sie wollen von mir, was jeder Mensch von einem Vater will. Sie wollen bestraft und beschützt werden. Sie haben mich zu einer vollkommenen Vaterfigur gemacht.«
    Ich wurde wütend. Er hatte mich rausgeworfen, ich wusste nicht, warum, es war ein Blitzschlag, ein Erdbeben, eine Flutwelle, es war etwas, das ohne Frage und ohne Widerspruch hingenommen werden musste.
    Doch um sich rein zu waschen, spielte er jetzt den professionellen Gedankenleser, den Seelen-Jongleur, den Beschwörer von Emotionen, den Magier, der Bilder nach Belieben erscheinen und wieder verschwinden ließ; er musste eine Vorstellung liefern, er gab seinem Mädchen den Laufpass, und trotzdem musste er sein besonderes weißes Kaninchen aus seinem besonderen Zylinder hervorzaubern, musste seinen Jargon und sein Können einsetzen.
    »Vaterfigur«, sagte ich, »natürlich. Vaterfigur. Darauf hatte ich schon gewartet. Zuerst war es Derek O’Teague, und jetzt sind Sie es. Das ist Ihre Lieblingsmasche.«
    Er sagte: »Derek O’Teague war ein schwacher Abklatsch. Gegen mich hatte er nicht die geringste Chance. Mir haben Sie sich mit Leib und Seele verschrieben.«
    Ja, das stimmt, dachte ich. Um es wieder so krass wie möglich zu formulieren – welcher Mann außer dem eigenen Vater würde einem sagen, wann man auf die Toilette gehen soll, und wer außer einer Tochter würde ihm gehorchen? Wer außer dem eigenen Vater würde einen übers Knie legen und einem eine Tracht Prügel verabreichen?
    »Sagen Sie was«, sagte er.
    »Sie haben Recht«, bemerkte ich, »ich wäre nie auf den Gedanken gekommen. Aber es ist wahr. Sie sind – Sie waren zu mir wie ein Vater.«
    »Natürlich habe ich Recht«, sagte er und fügte mit übertriebener Herzlichkeit hinzu: »Wie ein liebender Vater. Und überhaupt, worüber beklagen Sie sich eigentlich? Sie haben auf diesem Weg eine Therapie im Wert von dreihundert Guineen erhalten.«
    Ich sah ihn entgeistert an.
    Er sagte: »Natürlich. Was glauben Sie denn, was das war? Gehen wir jetzt«, und schlüpfte in seinen Mantel. »Sobald Sie darüber hinweg sind«, fügte er im selben Ton falscher Herzlichkeit hinzu, »rufen Sie mich an, und dann treffen wir uns und halten ein richtiges pow-wow ab.«
    Ich erwiderte nichts.
    Wir gingen schweigend hinaus und liefen schweigend die Oxford Street entlang und weiter, ebenso schweigend, in Richtung Marble Arch. Es war kalt und es nieselte.
    Pow-wow, dachte ich, wir halten ein pow-wow ab. Das sieht ihm ähnlich, dieses Wort zu verwenden. Jetzt. Früher hat er es nie gebraucht. Ein pow-wow ist etwas, was die Indianer veranstalten. Ein Treffen. Er ist so fröhlich und so verlogen, dass er sich nicht traut, anständiges, ehrliches Englisch zu reden. Nicht mit mir. Nicht mehr. Nicht mehr mit mir. Sexuell würde er nie von mir genug bekommen, deswegen muss Schluss sein. Er könnte ewig mit mir weitermachen, deswegen muss Schluss sein. Er will mich nicht loswerden, deswegen muss er mich loswerden. Nichts als Ausreden. Und er versteckt sich hinter seiner Vaterfigur. Warum mache ich keine Szene? Warum benehme ich mich so wohlerzogen? Ich bin eine Dame, genauso, wie meine Mutter es sagte. Eine Dame ist eine Frau, die sich in jeder Situation gut benimmt und sich in keiner zu helfen weiß.
    Gordon blieb vor der U-Bahn-Station Marble Arch stehen. »Ich begleite Sie nicht bis nach Hause«, sagte er. »Ich habe, wie gesagt, rasende Kopfschmerzen. Und nicht vergessen: Sobald Sie darüber hinweg sind, rufen Sie mich an.«
    »Ich werde Sie nicht anrufen«, sagte ich, »es sei denn, es ist was Besonderes.«
    »Sagen Sie nicht ›was Besonderes‹, sagen Sie ›etwas Besonderes‹«, sagte er.
    »Ja«, sagte ich.
    »Sie nehmen besser die U-Bahn«, bemerkte er, »Sie sollten bei diesem Wetter nicht draußen herumstehen.«
    Wenn schon öffentliche Verkehrsmittel, dann hätte ich trotz des Nieselregens den Bus vorgezogen. Aber ich blieb gehorsam bis zum Schluss.
    »Ja, ich werde die U-Bahn nehmen«, sagte ich, wandte mich ab und betrat die U-Bahn-Station.

 
     
    19. KAPITEL
     
     
     
    ES WAR SPÄTER N ACHMITTAG , gegen Ende Januar. Ich saß im Salon, fertig angezogen, um zum Dinner auszugehen, und wartete auf meinen Mann.
    Ich bin froh, dass es spät wird, sagte ich mir immer wieder, je später, desto besser. Wenn ich es jetzt sage, wo er in Eile ist, ist es einfacher. Dann bleibt keine Zeit für lange

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