Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
schwatzhafte Witwe Glenmore mehr Zeit im Hausflur verbrachte, als in ihrer Wohnung. Woanders hatte er sie jedenfalls noch nie gesehen. Widerstrebend öffnete er die Tür.
Mrs. Glenmores Faust, die sich bereits erneut in Richtung Tür bewegte, stoppte wenige Millimeter vor Hollows Gesicht. Die Frau, die vom Alter gebeugt im ausschließlich neonbeleuchteten Flur zwischen den Wohnungen stand, verzog für einen kurzen Augenblick das Gesicht, wobei ihre trüben Augen einen Punkt fixierten, der ungefähr in Hollows Kopfhöhe lag.
Doch dann schnatterte sie los.
„Mr. Hollow, Mr. Hollow, kommen Sie schnell und schauen Sie, was passiert ist!“ ereiferte sich Mrs. Glenmore, wobei kleine Speicheltröpfchen von ihren Lippen flogen. „Die Polizei ist da. Die Polizei ist da!“
Hollow fragte sich nicht zum ersten Mal, ob er auf die Dame vielleicht den Eindruck eines Begriffsstutzigen machte, da sie sich ständig bemühte, ihre Wortkanonaden in doppelter Ausfertigung auf ihn niederprasseln zu lassen. Und er fragte sich, wie es möglich sein konnte, dass sie wie ein Buch plappern und ihn dabei sogar noch bespucken konnte, ohne die schmalen Lippen unter ihrer langen Krähenschnabelnase dabei auch nur weiter als ein bis zwei Zentimeter auseinander zu bewegen.
„Was ist denn los, was ist denn los?“ äffte er seine Nachbarin nach. Dabei fielen ihm die beiden Nägel aus dem Mund, die bis dahin zwischen seinen Lippen gesteckt hatten und die er vollkommen vergessen hatte.
Mrs. Glenmore verfolgte den Fall der Metallstifte bis zum Boden, wo sich ihr vogelartiger Blick an den dort bereits liegenden Hammer heftete.
„Sie haben eben Ihren Hammer fallen lassen“, sagte sie völlig aus dem Zusammenhang und starrte Hollow an, als ob sie ihm gerade mitgeteilt hätte, dass ihr lieber Mann selig sie nachts unverhofft besucht hatte.
„Und die Nägel“, ergänzte Hollow gereizt, während er sich einen vorwitzigen Speicheltropfen, der ihn getroffen hatte, aus dem Gesicht wischte. „Was gibt es denn so Wichtiges?“
„Die Polizei, die Polizei!“, antwortete Mrs. Glenmore. „Mr. Muriic, der junge Mann, wissen Sie, der ist tot. Der ist tot! Eben haben sie ihn gefunden, und er ist ...“
Hollow achtete nicht mehr auf Mrs. Glenmore, die unverdrossen weiterplapperte. Vorsichtig lugte er um die Ecke zu dem Appartement, in dem Muriic wohnte. Tatsächlich, die Unruhe, die er vernommen hatte, kam von dessen Tür. Eine kleine Personentraube war dort zusammengekommen, die ab und zu von uniformierten Männern mit ernsten Gesichtern zerteilt wurde. Auf der Bahre, die nun von zwei Sanitätern aus der Wohnung getragen wurde, war unter einem Tuch der Umriss eines menschlichen Körpers zu erahnen. Hollow vermutete, dass es sich hierbei um den toten Mr. Muriic handelte.
Langsam, beinahe schleichend, ging Hollow auf die Leute zu, während Mrs. Glenmore um ihn herumtanzte und ihm lautstark auseinandersetzte, dass sie immer gewusst hatte, dass etwas mit Mr. Muriic nicht stimmte.
Hollow wusste bis heute noch nicht (und er glaubte nicht daran, dass er es je herausfinden würde), warum Mrs. Glenmore ausgerechnet ihn meistens als Ziel ihrer Monologe herausschaute. Andere kamen zwar auch an die Reihe, aber er schien in der Hitliste einen Spitzenplatz einzunehmen.
„Und außerdem war er Ausländer“, fügte Mrs. Glenmore hinzu.
„Haben Sie gewusst, dass ...“
„Nein“, unterbrach Hollow.
Einer der Beamten schien nun direkt auf ihn zuzukommen, was Mrs. Glenmore zum Anlass nahm, auf Hollow zu deuten und lauthals auf ihn aufmerksam zu machen.
„Das ist Mr. Hollow“, krähte sie dem Polizisten entgegen, der, wie Hollow mit großer Erleichterung registrierte, an ihm vorbeiging, ohne sich um das Gezeter der Frau zu kümmern, die jedoch in ihrer Litanei keineswegs innehielt. Hollow verfluchte sich bereits, dass er überhaupt die Tür geöffnet hatte, während sich seine Gefühle Mrs. Glenmore gegenüber langsam in blanken Hass verwandelten.
Über die Umstände der neuesten Tragödie in diesem Haus hätte er in jedem Fall spätestens morgen sowieso alles erfahren. Freilich von der stets bestens informierten Mrs. Glenmore, die er garantiert irgendwo getroffen hätte und die in diesen Minuten scheinbar endgültig den Verstand verloren hatte. Hollow sah jedoch keine Möglichkeit, die alte Schachtel auf elegante Weise loszuwerden.
„Mr. Hollow gehört zu den ruhigsten Leuten hier im Haus“, verkündete sie mit sich vor Eifer überschlagender Stimme,
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