Gorgon (Horror Stories 1) (German Edition)
haltend ungestört bleiben wollten.
Tom hatte längst das Radio eingeschaltet und lauschte dem abendlichen Musikprogramm. Die Tageszeitung hatte er schon beinahe auswendig gelernt, und nun bearbeiteten die Rolling Stones seine Gehörgänge. Die Welt des Pumas lag nach knapp zwei Stunden endlich in ihren letzten Umdrehungen, und Tom ließ langsam Licht in den Saal fluten, während sich die schweren Vorhänge provozierend gemächlich vor der Leinwand trafen.
Siebenunddreißig Dollar waren in der Kasse, das konnte man leicht im Kopf ausrechnen. Er würde sehr viel mehr einnehmen müssen, um den Strom zahlen zu können, den diese ganze Pumascheiße kostete, von den Raten an William ganz zu schweigen.
Noch lange, nachdem der letzte Besucher Fuller ’s Kino verlassen hatte, saß Tom in seinem Sessel im Vorführraum und starrte düsterster Stimmung auf die in leeren Sitzreihen seines Lichtspielhauses. Er fragte sich, wann wohl der rauchende Durchreisende das Kino verlassen hatte. War er überhaupt wirklich da gewesen?
Tom hätte es mittlerweile nicht mehr beschwören wollen.
Living in America , ließ sich James Brown aus dem Radio vernehmen.
„Wie war's heute, Tommy?“
Joans vom Fieber geschwächte Stimme erreichte ihn, noch bevor er das Haus richtig betreten hatte.
„Großartig, Jo, knapp vierzig Dollar in der Abendkasse. Wir können uns zur Ruhe setzen.“
Joans krächzende Antwort war ein Seufzer der Resignation.
„Schon gut, Jo, wird schon werden. Ist ja im Moment zu heiß, ist nicht soviel los. Warte ab, wir werden das Kind schon schaukeln.“
Einen Dreck werden wir schaukeln , dachte er bei sich. Vor allem du, du hysterische Ziege, wirst überhaupt nichts schaukeln, du wirst einfach nur auf deinem fetten Hintern sitzen und mir von morgens bis abends die Ohren volljammern, bis mir der Geduldsfaden reißt und ich dir dein verdammtes Maul sto ...
Tom unterbrach erschrocken seine Überlegungen.
Weshalb war er so wütend? Das konnte doch nicht sein, dass seine Frau ihn auf solche Gedanken brachte. Daran musste wohl das Wetter schuld sein.
Mit schlechtem Gewissen brachte er Joan noch einen Kamillentee, wünschte ihr eine gute Nacht und legte sich im Wohnzimmer auf die Couch (die ebenfalls noch nicht abbezahlt war), um eine Ansteckung zu vermeiden.
Er lag lange wach, starrte die Decke an und hing unguten Gedanken nach.
*
Joan Fuller war eine einzige große Sorge in Person.
Das Gefühl, an der Schwelle zu einer existenziellen Katastrophe zu stehen, war ihrem Leben immer allgegenwärtig gewesen.
Mit zwanzig Jahren hatte sie den Entschluss gefasst, durch Heirat ihre Zukunft in eine Bahn zu lenken, die weit abseits von materiellen Nöten lag. Dieser Plan war aufgegangen, denn ihr Tommy war ein tüchtiger Mann, und so konnte sie fortan unbeschwert ihre nähere Umgebung (Nachbarschaft) als Weidegrund für ihre Sorgen einsetzen.
Da waren die Millers, die Browns und die Suttons , die mit all ihren Alkohol- und Eheproblemen (über die sie selbstverständlich stets bestens informiert war), Joan große Sorgen bereiteten.
Mit der Zeit kamen die Anlässe zu Sorgen jedoch wieder ins eigene Haus zurück.
Die Übernahme des Kinos war wohl ein Fehler gewesen, aber sie hatte geglaubt, Tom würde es schon richten. Tom war mit seiner Tatkraft immer ein Garant für Joans Seelenfrieden gewesen, und nie wäre es ihr in den Sinn gekommen, an ihrem Mann zu zweifeln.
Bis vor drei Wochen.
Seit ihrer Grippe in der ersten Julihälfte hatte Tom kaum noch nennenswert mit ihr gesprochen. Er war ab und zu abends nach der Spätvorstellung noch im Kino geblieben, ohne ihr jedoch zu sagen, was er dort trieb. Sie verdächtigte ihn zuerst des Ehebruchs, doch das stellte sich als haltlos heraus, nachdem Joan sich eines Nachts dazu durchgerungen hatte, eine Observation des Kinos durchzuführen. Von einer dunklen Seitenstraße aus konnte sie beobachten, wie Tom allein herauskam und die Tür hinter sich abschloss. Daraufhin hatte sie größte Schwierigkeiten gehabt, vor ihm zu Hause zu sein (in voller Kleidung war sie unter die Bettdecke gesprungen), denn sie hätte ihre Abwesenheit nur sehr schwer glaubwürdig erklären können.
Trotzdem verhielt sich Tom zunehmend seltsamer, und es wäre vielleicht sogar beruhigender gewesen, ihn bei einem Seitensprung erwischt zu haben.
Joan dachte jetzt nicht mehr an das Kino oder an ihren geldgierigen Bruder William. Sie sorgte sich auch nicht mehr um die zerstrittenen Browns oder die
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