Gorian 3
ins Frostreich vorgestoßen bist?«
»Nein. Und es wäre sicher gut, wenn du es für dich behalten würdest. Er ist in dieser Hinsicht etwas ängstlich.«
»Nicht ohne Grund«, sagte Gorian.
»Mag sein.«
»Als wir auf dem Weg zum Speerstein waren, konnte er mir schließlich nicht mehr folgen. Er hat sehr schmerzlich die Grenzen seiner Kräfte erfahren. Ich denke, damit hängt seine Vorsicht zusammen.«
»Wissen ist Macht, Gorian. Je mehr wir über unsere Feinde wissen, desto größer ist die Aussicht auf einen Sieg.«
Vieles ging Gorian auf einmal durch den Kopf. Er fragte sich, wie lange sie sich wohl so tief in Morygors Reich aufhalten konnten, ohne dass man sie bemerken würde. Aber er konnte in dieser Hinsicht offenbar auf Meister Shabran vertrauen. Kleine Stippvisiten eines Schattenmeisters schienen Morygors vermutlich ziemlich umfassender Aufmerksamkeit schließlich doch zu entgehen, und wenn nicht, so war der Kundschafter durch die Schattenpfade schon verschwunden, bevor er gestellt werden konnte.
Shabran hatte Gorian geraten, jegliche Gedankenverbindung zu unterlassen, solange sie sich im Frostreich aufhielten. Das bedeutete, dass er sich nicht mit Sheera über das austauschen konnte, was er sah. Selbst das Handlichtlesen war tabu, erleichterte es doch dem Feind, sie aufzuspüren.
Gorian folgte Meister Shabran durch die Schattenpfade zum Weltentor, das im Nordosten lag. Sie fanden sich auf dem Kamm eines kraterähnlichen Gebirges wieder, der ein flaches, eisbedecktes Tal umfasste. In der Mitte dieses Tals befand sich ein schwarzer, annähernd quaderförmiger Felsen, der säulenähnlich in die Höhe ragte.
Von seiner Spitze aus spannte sich ein Bogen aus flimmerndem Licht zum Rand des Kraters und bildete ein Tor, doch jenseits dieses Tores war nichts weiter als wallender Nebel zu sehen, grau, mit ein paar rötlichen und gelblichen Schlieren darin. Hin und wieder zeichneten sich in diesem Nebel Schatten ab. Manchmal waren sie winzig und kaum auszumachen, dann wieder so groß, dass selbst die Magistratsfestung von Nelbar neben ihnen klein gewirkt hätte. Aber nichts von alldem, was sich hinter dem Nebel verbergen mochte, trat hervor.
»Der Lichtbogen«, murmelte Meister Shabran. »Das Tor ist geöffnet. Es könnte jederzeit etwas daraus hervorkommen, und da Morygor es beherrscht, kann das nur bedeuten, dass er gedenkt, noch mehr Nachschub aus den Schattenwelten jenseits des Tores herbeizuholen.«
»Reichen seine Untoten nicht? Schließlich kann er all die Gefallenen in die Reihen seiner Heere stellen, wenn er will.«
»Und das tut er auch, wie man sieht.« Shabran streckte die Hand aus und deutete zu jenem Punkt, wo der Lichtbogen den Kraterrand berührte. Gorian brauchte seinen Blick nicht auf Caladran-Art zu schärfen, um die typischen fellbesetzten Röcke und die gehörnten Helme der Torheimer Krieger zu erkennen.
Die Torwächter.
Es waren untote Torheimer, die mit dieser Aufgabe betraut waren. Einige von ihnen kamen gerade aus einer Höhle hervor.
»Wir sollten uns nicht zu lange hier aufhalten«, warnte Meister Shabran. »Auch wenn die Versuchung groß ist, wenigstens einen Blick in eine der Welten zu werfen, die mittels des Tores zu erreichen sind. Manchmal ist das nämlich möglich.«
Niemand wusste, wer dieses Tor einst errichtet hatte. Angeblich war es sogar älter als das Volk der Sechsfingrigen und schon an seinem Ort gewesen, als diese magiebegabten Wesen ganz Erdenrund beherrschten. Hier hatte einst die Große Schlacht gegen die Frostgötter stattgefunden, an deren Ende sie durch das Tor vertrieben worden waren.
Götter, deren Gehorsam sich Morygor erkauft hatte, indem er ihnen die Gnade einer Rückkehr aus ihrem offenbar nicht sonderlich komfortablen Exil erlaubte.
»Ich frage mich, was sich Morygor davon verspricht, wenn er noch mehr Höllengeschöpfe durch dieses Tor holt«, sagte Gorian. »Ist die Überlegenheit seiner Heere nicht schon groß genug? Und wer wird sich überhaupt noch gegen ihn zur Wehr setzen können, wenn die Kälte der ewigen Nacht auch den letzten Winkel von Erdenrund erreicht?«
»Morygor mag unsere Absichten und unser Schicksal vorausahnen, aber wir sind dazu nicht in gleicher Weise in der Lage«, antwortete Meister Shabran. »Tatsache ist, dass einige der übelsten Frostgötter noch nirgends wieder in unserer Welt gesichtet wurden und sehr wahrscheinlich noch darauf warten, dass Morygor ihnen irgendwann die Rückkehr erlaubt. Von all den anderen
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