Gorian 3
»Welches Interesse sollte er daran habe, Gorian oder mich zu töten, nachdem er kurz zuvor erst unsere Hilfe eingefordert hatte?«
»Vielleicht hat er Euch nur deshalb zu sich gebeten, um Euch töten zu können«, war Shabrans Antwort.
»Das glaube ich nicht«, widersprach Gorian.
»Aber kannst du es ausschließen? Könnte es nicht sein, dass der Basilisken-Fürst Assassinen beauftragt hat, deren Herkunft und Bewaffnung auf den Kaiser als Auftraggeber deuten mussten? Vielleicht hat er sogar damit gerechnet, dass du den Angriff vorausahnst und ihm entkommst. Selbst mein Auftritt vor der Versammlung, als ich dem Kaiser das Giftschwert vor die Füße warf, könnte einberechnet gewesen sein.«
»Ihr glaubt, der Basilisken-Fürst wollte einen anderen Kaiser? «, vergewisserte sich Hochmeister Thondaril stirnrunzelnd.
»Wenn das sein Ziel gewesen ist, so hat er es erreicht. Außerdem – wer weiß schon, woher das Taschentuch kam, das vermutlich vergiftet war und anschließend spurlos verschwand. «
»Ich traue dem Fürsten von Naraig durchaus zu, dass er einen Spion in unmittelbarer Nähe des Kaisers hatte und uns alle wie Marionetten benutzte«, sagte Meister Morgun. »Wir sollten achtsamer sein.«
»In zwei Tagen sollen wir uns mit den Maladran nach Norden begeben, um den Spiegel der Basilisken zu bewachen«, erklärte Gorian. »Wir ziehen zusammen in eine Schlacht, aber womöglich an der Seite von Verbündeten, die mich umbringen
wollen. Wie kann ich dem Basilisken-Fürsten noch vertrauen?«
»Willst du ihm die Hilfe verweigern? Seine Magie ist vielleicht die einzige Möglichkeit, die Horden Morygors aufzuhalten«, gab Hochmeister Thondaril zu bedenken.
Sheera trat vor. Sie legte dem toten Schlangenmenschen eine Hand auf die Stirn, und ihre Augen wurden schwarz. Sie veränderte noch einmal die Position ihrer Hand, drehte den Schlangenkopf zur Seite und legte zwei Finger in dessen Nacken. Aus ihren Fingerkuppen zuckte ein wenig Schwarzlicht.
»Deine Heilkunst ist an dieser toten Schlangenbrut verschwendet«, sagte Meister Shabran.
»Ins Leben zurück kann auch die beste Heilkunst ihn nicht mehr holen«, gab Sheera zu. »Aber auch bei einem Toten bleiben immer ein paar Gedanken zurück. Seelenreste, Gedankensplitter. Und nicht nur der Geist hat ein Gedächtnis, sondern auch das Fleisch.«
»Was willst du damit sagen?«, fragte Hochmeister Thondaril.
Sie sah auf. Ihr Blick richtete sich zuerst auf Gorian und dann auf Meister Shabran.
»Sie will damit sagen, dass dieses Wesen noch nie jemanden getötet hat«, antwortete Gorian für Sheera.
Shabran lachte heiser. »Das ist doch Unsinn!« Er wandte sich an Sheera. »Deine Heilkunst in Ehren, und Heiler mögen alles Mögliche aus einer Leiche herauslesen können, aber das hier ist ein Schlangenmensch! Alles, was du gelernt hast, gilt für unsere eigene Art.«
»Ich kann dir nur sagen, was ich erspüre«, erwiderte Sheera ruhig und sehr gelassen. »Sein Fleisch erinnert sich nicht daran, jemanden getötet zu haben.«
»Dennoch, ich bin mir sicher, dass er der Bogenschütze war!«
»Die Schlangenmenschen des Basilisken-Reichs benutzen doch Waffen aus Obsidian«, erinnerte Gorian.
»Wenn er das getan hätte, hätte er gleich ein Dokument mit einer Bekennernachricht hinterlassen können!« Shabran wies auf den Köcher, der dem Schlangenmenschen gehört hatte; er lag auf einem Tisch neben dem Leichnam. »Seht euch seine Pfeile an!«
Gorian zog einen davon aus dem Köcher und sah sich die Spitze an. »Ja, ein solcher Pfeil steckte im Kopf des Assassinen. «
»Darf ich mal sehen?« Meister Morgun nahm den Pfeil und war sich schnell sicher. »Die Bogenschützen des Kaisers benutzen diese Pfeile.«
»Das passt doch zu allem anderen«, meinte Shabran. »Er wollte den Verdacht auf die Laramonteser lenken, indem er diese Pfeile benutzte.«
»Die Frage ist, was wir jetzt tun«, sagte Meister Morgun. »Und wie wir uns gegenüber dem Fürsten von Naraig verhalten? «
»Der Fürst wird alles abstreiten«, war Hochmeister Thondaril überzeugt. »Wenn wir ihn zur Rede stellen, treiben wir einen Keil in unser brüchiges Bündnis. Falls wir es nicht tun, kämpfen wir mit jemandem Seite an Seite, der uns vielleicht hinters Licht führen will.«
»Zum Glück haben wir noch etwas Zeit, ehe wir endgültig entscheiden müssen, was geschehen soll«, meinte Meister Morgun. »Vielleicht wissen wir bis dahin mehr.«
21
Zwei Schattenmeister
Ein letzter Schattenpfadgang ins
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