Gorian 3
anhaftete – so wie vielen Gegenständen, die die Caladran in Gebrauch hatten.
Kunstvoll geschnitzte Dämonenfratzen und kleine Drachen zierten die Tischkanten und die Lehnen der Stühle, die den Tisch umstanden.
»Ich habe Eurem drängenden Gedanken den Wunsch entnommen, dass Ihr allein mit mir sprechen wollt«, erklärte Gorian.
»Das ist richtig«, bestätigte Meister Thondaril, der zuvor nervös im Raum auf- und abgegangen war. Er blieb stehen, hob die Hände und ließ Licht aus den Handflächen strahlen,
das den Tisch und die Stühle traf. Es tanzte von einer Schnitzerei zur nächsten, und die grimassenhaften Gesichter veränderten sich. Im ersten Moment bemerkte Gorian den Unterschied gar nicht, dann aber wurde ihm schlagartig klar, was geschehen war: Die Ohren waren verschwunden. All diese geschnitzten Dämonengesichte, so unterschiedlich sie auch sein mochten, hatten nämlich spitze Ohren gehabt, die denen der Caladran nicht unähnlich waren. Mal waren sie mehr und mal weniger ausgeprägt gewesen. Aber nun hatten sie sich einfach zurückgebildet, und es sah aus, als hätten jene künstlerisch und magisch über die Maßen begabten Caladran-Schnitzer sie bei den Dämonenfratzen einfach vergessen.
Meister Thondaril drehte sich um und ließ aus seinen Handflächen Bälle aus blauem Licht schnellen. Sie zerplatzten, sobald sie gegen die Wände trafen, und bildeten einen bläulichen Schimmer. Dieser kleidete den ganzen Raum von innen aus und beschichtete selbst das magische Glas der Fenster.
Gorian bemerkte, dass sich seine Farbsicht daraufhin änderte. Alles, was ihn umgab, hatte einen deutlichen Blaustich angenommen. Außerdem waren helle und dunkle Töne teilweise vertauscht. Dort, wo das Licht der immer schmaler werdenden Sonnensichel durch die Fenster sickerte, erzeugte es einen dunkelblauen Schatten, während an anderer Stelle, wo eigentlich kaum Licht hin drang, eine fast gleißende hellblaue Helligkeit herrschte.
»Ich brauche dir nicht zu erklären, was ich gerade getan habe.«
»Ihr schirmt unsere Unterhaltung ab, Meister Thondaril«, stellte Gorian fest.
»Ich möchte sichergehen, dass kein Gedanke und kein
Wort nach außen dringen, denn ich weiß nicht, wem ich wie weit trauen kann.«
»Wisst Ihr denn, ob Ihr mir noch trauen könnt? Torbas hat sich schließlich auf Morygors Seite geschlagen …«
»Torbas ist ein willkommener Diener für Morygor. Aber bei dir, Gorian, da bin ich mir ziemlich sicher, würde er dieses Risiko nicht eingehen. Er würde dich töten, sobald du dich ihm ergibst, selbst wenn er dir zuvor etwas anderes versprechen sollte. Insofern hast du in Wahrheit keine Wahl. Und ich denke, dass dir das auch bewusst ist. Im Übrigen – ein gewisses Risiko werde ich wohl eingehen müssen, so wie wir alle. Aber es ist einfach so, dass ich dir zu diesem Zeitpunkt ein paar Dinge mitteilen möchte, die zunächst unter uns bleiben sollten. Je weniger Eingeweihte es gibt, desto besser.«
»Ich verstehe, Meister.« Gorian senkte ein wenig den Kopf. Eine angedeutete Verbeugung, keinesfalls mehr. »Ich hoffe nur, dass Ihr die Magie der Caladran nicht allzu sehr unterschätzt. « Während er das sagte, wanderte sein Blick über die geschnitzten Dämonenfratzen, bei denen man stets den Eindruck hatte, dass sie den Betrachter ansahen – gleichgültig, welche Perspektive man einnahm.
»Das, Meister Gorian, kannst du viel besser einschätzen als ich«, gestand Thondaril. Er setzte sich an den Tisch, und Gorian tat es ihm gleich. »Teile die Gedanken, die wir hier erörtern, auch nicht mit Sheera.«
»Ihr misstraut auch ihr?«
»Auch wenn sie dir nahesteht, Gorian: Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie stärker ist als Torbas.«
Gorian wollte erzählen, was sich bei den Ruinen der Torlinger Stadt ereignet hatte, von seinem Kampf gegen Torbas und davon, wie dieser Sheeras Willen gebrochen hatte. Aber auch davon, dass sie stark genug gewesen war, sich aus
seiner geistigen Kontrolle zu befreien. Sie hatte den Befehl, Gorian zu töten, schließlich nicht ausgeführt, sondern sich gegen Torbas gewandt.
Konnte es einen größeren Beweis der Loyalität geben?
Das alles hätte Gorian seinem Meister am liebsten entgegnet, aber er schwieg. Diese Dinge konnte er ihm ein anderes Mal berichten – momentan schienen sie von untergeordneter Bedeutung. An Thondarils Einstellung hätte wohl nichts, was Gorian vorbringen konnte, in diesem Augenblick irgendetwas geändert. Thondaril hatte in diesem
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