Gorki Park
hatte.
Farben, Schnitt und Qualität aller Stücke waren Arkadi ebenso fremd wie Irinas Kleider, die im Schrank hingen. Sie hatte Hosen, Hemden, Socken, Krawatten, ein Sportsakko, einen Schlafanzug, einen Mantel und einen Hut besorgt. Sie begutachteten die Nähte, die Futterstoffe und die französischen Etiketts. Irina schlang ihr Haar zu einem Nackenknoten zusammen und führte ihm alle Kleidungsstücke mit ernstem Gesicht vor.
»Soll ich das sein?« erkundigte Arkadi sich.
»Nein, nein! Ein amerikanischer Arkadi«, sagte sie und zog den Hut keck ins Gesicht, während sie vor ihm auf und ab stolzierte.
Als sie den Schlafanzug vorführte, knipste Arkadi das Licht aus. »Ich liebe dich«, sagte er.
»Wir werden bestimmt glücklich.«
Arkadi knöpfte die Schlafanzugjacke auf und küsste Irinas Lippen, ihren Hals, ihre Brüste. Der Hut fiel zu Boden und rollte unter den Couchtisch.
Die Nacht ließ die grässlichen Farben der Tapete verblassen.
Im Bett lernte er Irinas Körper wieder kennen. Die Frauen, die er vom Fenster aus auf der Strasse beobachtet hatte, sahen für ihn unweiblich schmal aus. Irina war breiter, sinnlicher, animalischer. Ihre Rippen traten weniger deutlich hervor als in Moskau; ihre Fingernägel waren länger und lackiert. Aber von ihren weichen Lippen bis zur Halsgrube und bis zur dunklen Härte ihrer Brustspitzen, von ihrem flachen Bauch bis zu den Schenkeln fühlte sie sich gleich an. Ihre Zähne bissen wie früher; an ihren Schläfen erschienen die gleichen winzigen Schweißperlen.
»In meiner Zelle hab ich mir deine Hände vorgestellt.« Sie führte seine Hand über ihren Körper. »Hier und hier und hier. Ich hab sie gespürt, ohne sie zu sehen. Dabei hab ich mich lebendig gefühlt. Ich hab mich in dich verliebt, weil du mir geholfen hast, mich lebendig zu fühlen, obwohl du gar nicht bei mir warst. Anfangs haben sie behauptet, du hättest ihnen alles gesagt. Als Chefinspektor seist du dazu verpflichtet gewesen. Aber je mehr ich über dich nachgedacht habe, desto klarer ist mir geworden, dass du nichts verraten würdest. Sie haben mich gefragt, ob du verrückt seist. Ich habe geantwortet, du seist der vernünftigste Mensch, den ich kenne. Sie haben mich gefragt, ob du ein Verbrecher seist. Ich habe geantwortet, du seist der ehrlichste Mensch, den ich kenne. Zum Schluss haben sie dich mehr gehasst als mich. Und ich habe dich mehr geliebt.«
»Ich bin ein Verbrecher.« Arkadi drängte sich gegen sie. »Dort war ich ein Verbrecher - und hier bin ich ein Gefangener.«
»Frag mich bitte nicht, wie lange ich schon hier bin oder was eigentlich vorgeht«, sagte Irina. »Alles passiert auf unterschiedlichen Ebenen, auf neuen Ebenen, von denen wir nie etwas geahnt haben. Stell keine Fragen. Wir sind hier. Ich hab mir immer gewünscht, hier zu sein. Und ich habe dich bei mir. Ich liebe dich, Arkascha. Du darfst keine Fragen stellen.«
»Sie schicken uns zurück. Angeblich schon in ein paar Tagen.« Sie klammerte sich an ihn, küsste ihn und flüsterte ihm erregt ins Ohr: »In ein, zwei Tagen ist alles vorbei, aber sie schicken uns nie zurück. Niemals!«
Er konnte sie nicht fragen, warum sie so davon überzeugt war, nicht in die Sowjetunion zurückkehren zu müssen. Wegen der Mikrofone, und weil sie ihn gebeten hatte, sie nichts mehr zu fragen.
»In Wirklichkeit«, sagte Irina, während sie ihre Zigarette an seiner anzündete, »war es nicht Osborne, der mich in Moskau beseitigen lassen wollte.«
»Was?«
»Es waren Staatsanwalt Jamskoi und der Deutsche Hofmann. Die beiden waren Komplizen. Osborne wusste nichts davon.«
»Osborne hat zweimal versucht, dich zum Schweigen zu bringen. Hast du das vergessen?« Arkadi war plötzlich wütend. »Wer hat dir erzählt, Osborne habe nichts damit zu tun gehabt?«
»Wesley.«
»Wesley ist ein Lügner.« Er wiederholte den Satz auf Englisch: »Wesley ist ein Lügner!«
»Pst, es ist schon spät.« Irina legte ihm einen Finger auf die Lippen. Sie wechselte das Thema; sie war geduldig und trotz seines Ausbruchs mit sich selbst zufrieden.
Aber Arkadi war verstört. »Warum hast du das Mal auf deiner Backe verdeckt?« fragte er.
»Ich wollte einfach. In Amerika gibt’s Makeup.«
»In der Sowjetunion gibt’s auch Makeup, aber dort hast du das Mal nie verdeckt.«
»Dort war es nicht so wichtig.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Warum ist es hier wichtiger?«
»Ist das nicht klar?« Jetzt war Irina aufgebracht. »Es ist ein russisches Mal. Ich
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