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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
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dem Frühstück qualmen?« hatte Wesley gefragt.
    Die Spinne schwang sich zu ihrem Netz in der einen Ecke des Zimmers. Arkadi hatte es zuvor nicht bemerkt; es war ihm erst aufgefallen, als es von der Morgensonne beschienen wurde.
    »Ich liebe dich«, hatte Irina auf russisch gesagt.
    Woraufhin Arkadi auf russisch geantwortet hatte: »Ich liebe dich auch.«
    Die Spinne kletterte in ihrem Netz herum und machte immer wieder halt, als kontrolliere sie etwas.
    Wie viel Unterschied bestand zwischen einer russischen und einer amerikanischen Spinne?
    »Los, heute ist der große Tag«, hatte Nicky gesagt, als er die Tür öffnete.
    Webten sie ihre Netze auf gleiche Art? Putzten sie sich ihre Zähne auf gleiche Art?
    Dieser Gedanke jagte Arkadi Angst ein.
    Verstanden sie sich gut, vielleicht zu gut?
    Auf den Gehsteigen drängten sich gutgekleidete Passanten. Wie lange ist Irina schon in New York? fragte Arkadi sich. Warum hat sie so wenige Sachen im Kleiderschrank?
    In einem Büro des modernen Gebäudes auf der anderen Strassenseite arbeiteten zwei schwarze Anstreicher. In anderen Büros wurde geschrieben und telefoniert. Arkadi fiel auf, wie kurz die Telefongespräche im Durchschnitt waren. In Moskau war ein Bürotelefon ein freundlicherweise vom Staat zur Verfügung gestelltes Mittel, um endlose Privatgespräche zu führen; es wurde ständig benützt - aber nur selten dienstlich.
    Arkadi stellte den Fernseher an, um eine Geräuschkulisse zu haben, während er versuchte, das Türschloss mit einer Haarnadel zu öffnen. Aber es widerstand seinen Bemühungen.
    Warum arbeiteten die Anstreicher bei geschlossenen Fenstern? Das Fernsehprogramm bestand hauptsächlich aus Werbespots für Waschmittel, Deodorants und Schmerztabletten. Dazwischen wurden kurze Interviews und dramatische Sketches eingestreut.
    Als Al ihm ein Sandwich mit Käse und Schinken und einen Pappbecher Kaffee brachte, fragte Arkadi ihn, welchen amerikanischen Schriftsteller er bevorzuge - Jack London oder Mark Twain? Al zuckte mit den Schultern. John Steinbeck oder John Reed? Nathaniel Hawthorne oder Ray Bradbury? »Das sind die einzigen, die ich kenne«, sagte Arkadi. Al ging wieder.
    In der Mittagspause leerten sich die Büros. Wo die Sonne auf den Gehsteig fiel, blieben die Leute stehen und aßen aus Papiertüten. Der Wind wirbelte die leeren Tüten in den Häuserschluchten fünf, zehn Stockwerke hoch hinauf. Arkadi schob das Fenster hoch und beugte sich hinaus. Die Luft war kalt und roch nach Zigarren, Auspuffgasen und gebratenem Fleisch.
    Er sah eine Frau in einem schwarzweißen Nylon-Pelz das Hotel mit drei verschiedenen Männern betreten und wieder verlassen.
    Die Autos waren riesig und verbeult, der Verkehrslärm ohrenbetäubend. Viele der Autos leuchteten in so verrückten Farben, als wären sie von Kindern bemalt worden.
    Dort unten liefen so viele Menschen mit großen Tüten herum!
    Diese Leute hatten nicht nur Geld - sie hatten auch Dinge, die es zu kaufen lohnte.
    Arkadi duschte und zog seine neuen Sachen an. Sie passten wie angegossen, fühlten sich unglaublich gut an und ließen seine alten Schuhe noch hässlicher erscheinen als vorher. Er erinnerte sich daran, dass Nicky und Rurik Rolex-Uhren trugen.
    In der oberen Schublade der Kommode lag eine Bibel. Noch überraschender aber war das Telefonbuch darunter. Arkadi riss die Adressen jüdischer und ukrainischer Organisationen heraus und versteckte sie in seinen Socken.
    Schwarze Polizisten in braunen Uniformen regelten den Verkehr. Weiße Polizisten in schwarzen Uniformen trugen Revolver. Taxis waren gelb. Vögel waren grau.
    Irina hatte den Verbrechern Kostja Borodin und Valeria Dawidowa Zuflucht gewährt. Sie war an Staatsverbrechen wie Schmuggel und Industriesabotage beteiligt gewesen. Sie wusste, dass der Moskauer Staatsanwalt ein KGB-Offizier gewesen war. Was erwartete sie in der Sowjetunion?
    Rurik kam vorbei und brachte ein halbes Dutzend kleine Wodkaflaschen mit - »Airline-Flaschen« nannte er sie.
    »Wir haben eine neue Theorie. Aber bevor ich sie Ihnen erläutere …« Er hob abwehrend die Hände.
    »Ich möchte, dass Sie mich nicht für gefühllos halten. Ich bin Ukrainer wie Sie und Romantiker wie Sie. Ich will Ihnen noch etwas anderes verraten: Mein rotes Haar ist ein Erbstück meiner jüdischen Großmutter, die damals zum Christentum übergetreten ist. Deshalb kann ich mich mit allen möglichen Leuten identifizieren. Aber gewisse Kreise sind der Ansicht, dass diese Sache mit den Zobeln
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