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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
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leergefressen.«
    »Er war in jeder Beziehung unersättlich«, stellte Arkadi fest.
    »Richtig! Sie wissen natürlich, dass Jamskoi an allem schuld war. Ich hatte ihm seit dem Krieg immer wieder Geld für kleine Gefälligkeiten gegeben. Er wusste, dass ich nicht in die Sowjetunion zurückkommen würde, und wollte zum Schluss noch einmal richtig abkassieren. Deshalb hat er auch dafür gesorgt, dass Sie mich im Badehaus kennen gelernt haben. Und wenn ich mir einbildete, Sie abgeschüttelt zu haben, hat er Sie wieder aufgestachelt. Allerdings war das bei Ihnen kaum nötig.«
    Osborne machte eine Pause. »Ein brillanter Kopf, dieser Jamskoi, aber wie gesagt, sehr geldgierig.«
    Sie verließen das Restaurant und gingen die Avenue entlang, wobei Osbornes Limousine im Schritttempo neben ihnen herfuhr, wie seinerzeit eine andere Limousine in Moskau. Einige Strassen weiter ragten vor ihnen zwei Reiterstandbilder am Eingang eines Parks auf. Central Park, sagte Arkadi sich. Wollten die beiden ihn im Park ermorden? Nein, das wäre in Osbornes Sortierraum einfacher gewesen. Arkadi zündete sich eine Zigarette an, um seinen Hunger zu betäuben.
    »Ein scheußliches russisches Laster.« Osborne zündete sich ebenfalls eine an. »Daran gehen wir eines Tages ein. Wissen Sie, warum er Sie gehasst hat?«
    »Wer?«
    »Jamskoi.«
    »Der Staatsanwalt? Warum sollte er mich gehasst haben?«
    »Wegen der Sache mit dem Berufungsverfahren vor dem Obersten Gerichtshof, durch das er in die Prawda gekommen ist.«
    »Wegen des Falls Wiskow?«
    »Ganz recht. Der hat ihn ruiniert. Der KGB hat schließlich nicht einen seiner eigenen Generale auf den Posten des Moskauer Staatsanwalts gebracht, damit er sich dort für die Rechte von Verurteilten einsetzt. Im Grunde genommen ist der KGB nicht anders als andere Bürokratien, und ein mächtiger Mann - vor allem ein aufgehender Stern - hat mächtige Feinde. Diesen Leuten haben Sie genau die richtige Waffe in die Hand gegeben, so dass sie behaupten konnten, Jamskoi schade dem Ansehen der sowjetischen Justiz, betreibe eigenen Personenkult oder sei geisteskrank. Dagegen sollte in nächster Zeit eine großangelegte Kampagne anlaufen. Dieses Berufungsverfahren hat ihn ruiniert, und Sie hatten es ihm aufgezwungen.«
    Ausgerechnet im New Yorker Central Park muss ein ehemaliger Chefinspektor erfahren, weshalb der frühere Moskauer Staatsanwalt ihn gehasst hat, dachte Arkadi. Aber Osbornes Erklärung klang logisch.
    Er erinnerte sich an das Gespräch, das er im Badehaus mit Jamskoi, dem Sekretär des Generalstaatsanwalts, dem Akademiemitglied und dem Richter geführt hatte. Die Spitzen gegen Jamskoi waren eigentlich unüberhörbar gewesen!
    Im Scheinwerferlicht der Limousine hinter ihnen tanzten vereinzelte Schneeflocken. Arkadi erkannte in einiger Entfernung unter den Bäumen eine Eislaufbahn, von der Rockmusik herüberdrang. Er sah Bewegung auf dem Eis.
    »Sie sollten den Park im Schnee sehen«, sagte Osborne.
    »Es schneit schon.«
    »Ich liebe Schnee«, fuhr der Amerikaner fort. »Soll ich Ihnen sagen, warum? Das habe ich noch keinem Menschen anvertraut. Ich liebe ihn, weil er die Toten verbirgt.«
    »Sie meinen die im Gorki-Park?«
    »Nein, nein, ich spreche von den Leningrader Toten. Ich bin als idealistischer junger Mann in die Sowjetunion gekommen. Ja, wie der junge Kirwill, vielleicht noch schlimmer. Niemand hat sich mehr dafür eingesetzt, dass der Pacht- und Leihvertrag ein Erfolg wurde, als der junge John Osborne. Ich bin der Amerikaner vor Ort gewesen; ich musste mit den Russen Schritt halten und sie möglichst übertreffen - und das bei nur vier bis fünf Stunden Schlaf pro Nacht und monatelanger Unterernährung. Die Belagerung Leningrads war natürlich einer der Wendepunkte des Zweiten Weltkriegs, denn dort wurde das Heer eines Massenmörders von dem Heer eines anderen Massenmörders zurückgeschlagen. Wir Amerikaner waren daran interessiert, diesen Kampf so lange wie möglich auszudehnen. Das ist uns auch gelungen. Neunhunderttausend Leningrader sind umgekommen, aber die Stadt ist nicht gefallen. In den Vororten wurde um jedes Haus, jede Strasse gekämpft; man hat sie manchmal morgens verloren und nachts zurückgewonnen. Oder man hat sie nach einem Vierteljahr zurückerobert und noch alle Toten von damals aufgefunden. Dabei habe ich hohen Schnee schätzen gelernt.«
    Sie verließen den Park und betraten die Fifth Avenue, die Trennungslinie zwischen gewöhnlichen New Yorkern und den Reichen. In
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