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Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park
Autoren: Martin Cruz-Smith
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unbeleuchtete Ansammlung von Kolossalbauten aller Stilrichtungen von der Antike bis zur Moderne. Die einzige Ausnahme bildete ein von Scheinwerfern angestrahlter Wolkenkratzer, der ein ganzes Strassengeviert einnahm und Arkadi vertraut vorkam. Dieses Gebäude war im stalinistischen Zuckerbäckerstil, aber ohne den von Stalin so geschätzten orientalischen Zierrat errichtet: ein schlanker Monolith, an dessen Spitze eigentlich nur ein rubinroter Stern fehlte. Kirwill parkte genau davor.
    »Wo sind wir hier?« fragte Arkadi erstaunt. »Was hat um diese Zeit noch offen?«
    »Das sind die sogenannten Katakomben«, antwortete der Lieutenant. »Hier amtiert auch nachts ein Schnellrichter.«
    Sie stießen Flügeltüren aus Messing auf und betraten eine Eingangshalle voller Bettler mit zerlumpter Kleidung und dem scheuen, misstrauischen Blick getretener Hunde. Auch in Moskau gab es Bettler, die aber nur auf Bahnhöfen zu sehen waren oder wenn sie von der Miliz bei einer Razzia aufgescheucht wurden. Hier gehörte ihnen die ganze riesige Eingangshalle. Die einzige Ausnahme waren zwei ältere Männer, die schäbige Mäntel trugen, abgestoßene Aktenkoffer in der Hand hatten und Arkadi prüfend betrachteten.
    »Anwälte«, erklärte Kirwill ihm. »Sie halten dich für einen potentiellen Mandanten.«
    »Sie sollten ihre Mandanten besser kennen.«
    »Sie lernen ihre Mandanten erst kennen, wenn sie hier reinkommen.«
    »Aber sie sollten sich mit ihren Mandanten in ihrer Kanzlei besprechen.«
    »Dies hier ist ihre Kanzlei.«
    Kirwill bahnte ihnen einen Weg durch die Menge.
    »Wohin gehen wir eigentlich?« wollte Arkadi wissen.
    »Wir holen Rats aus dem Bunker. Hast du was Wichtigeres vor?«
    Der Lieutenant klingelte an einer Stahltür. Hinter einem Sehschlitz wurden zwei Augen sichtbar; dann öffnete sich die schwere Tür nach innen und gab den Zugang zu den vergitterten Zellen der - fast ausschließlich schwarzen - Untersuchungshäftlinge frei. Arkadi folgte Kirwill den Mittelgang hinunter, bis der Amerikaner vor der Zelle eines durch seine bizarre Aufmachung auffallenden Weißen halt machte. Der Häftling trug Wollhandschuhe, von denen die Finger abgeschnitten waren, schmutzige Gummistiefel, eine Anglerjacke mit vielen Taschen und eine Wollmütze, unter der strähniges Haar hervorstand. Er hatte ein von Wind, Wetter und Whisky gerötetes Gesicht und bemühte sich, das Zittern seines linken Beins zu verbergen. Vor seiner Zelle standen ein schnauzbärtiger Kriminalbeamter und ein verkniffen dreinblickender junger Mann in Anzug und Krawatte.
    »Na, können wir jetzt heimfahren, Rats?« fragte Kirwill den Mann in der Zelle.
    »Sie dürfen Mr. Ratke auf keinen Fall mitnehmen, Lieutenant«, sagte der junge Mann mit der Krawatte.
    »Das hier ist ein stellvertretender Staatsanwalt, der eines Tages erwachsen und ein hochbezahlter Strafverteidiger werden wird«, erklärte Kirwill Arkadi. »Und das hier ist ein höchst verlegener Kriminalbeamter.«
    Tatsächlich schien der andere junge Mann sich am liebsten hinter seinem Schnauzbart verkriechen zu wollen.
    »Mr. Ratke wird in ein paar Minuten vorgeführt«, fügte der Staatsanwalt hinzu.
    »Wegen Trunkenheit und groben Unfugs?« Kirwill lachte. »Was erwarten Sie von einem Säufer wie ihm?«
    »Wir möchten einige Auskünfte von Mr. Ratke.« Der Staatsanwalt hatte den nervösen Mut eines Terriers. »Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, dass der kürzliche Einbruch bei der Hudson Bay Company noch immer unaufgeklärt ist, Lieutenant. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Mr. Ratke versucht hat, aus diesem Einbruch stammende Waren zu verkaufen.«
    »Wo ist das Beweismaterial?« fragte Kirwill. »Auf Verdacht können Sie ihn nicht einsperren.«
    »Ich hab nix geklaut!« kreischte Rats.
    »Jedenfalls wurde er wegen Trunkenheit und groben Unfugs festgenommen«, stellte der junge Staatsanwalt fest. »Lieutenant Kirwill, ich habe schon einiges über Sie gehört und bin gern bereit, mich mit Ihnen anzulegen!«
    »Und Sie haben ihn festgenommen?« Kirwill warf einen Blick auf die Ansteckplakette des Kriminalbeamten. »Sie heißen Casey? Hab ich nicht schon Ihren Vater gekannt? Das war ein Kriminalbeamter!«
    »Rats war schon festgenommen, und sie haben jemand gebraucht, der ihn vor Gericht vorführt … «
    Casey konnte Kirwill nicht in die Augen sehen.
    »Bei einem Streifenbeamten könnte ich das noch verstehen - aber bei Ihnen?« Kirwill schüttelte den Kopf. »Haben Sie Geldsorgen? Brauchen Sie
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