Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gorki Park

Gorki Park

Titel: Gorki Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Cruz-Smith
Vom Netzwerk:
rutschte von einem Hocker, Hände und Laborkittel weiß von Gips. Andrejew.
    »Sie sind der Chefinspektor, der angerufen hat?«
    »Ja.« Arkadi sah sich nach einem Platz für seinen Behälter um.
    »Den können Sie gleich wieder mitnehmen«, sagte Andrejew. »Ich habe nicht die Absicht, Ihnen den Kopf zu modellieren. Ich arbeite nur noch für die Miliz, wenn der Fall seit mindestens einem Jahr ungelöst ist. Das ist reiner Selbstschutz. Sie würden staunen, wie oft die Miliz imstande ist, ein Verbrechen innerhalb eines Jahres aus eigener Kraft aufzuklären. Das hätte Ihnen irgend jemand mitteilen sollen.«
    »Das wusste ich.«
    Als der Chefinspektor keine Anstalten machte, das Atelier zu verlassen, studierte Andrejew ihn aufmerksam und fragte:
    »Sie sind Renkos Sohn, stimmt’s? Ich habe schon viele Fotos von ihm gesehen. Sie sehen ihm nicht sehr ähnlich.«
    »Ich hatte schließlich auch noch eine Mutter.« Andrejew lachte und deutete auf den Behälter: »Also gut, zeigen Sie mir, was Sie mitgebracht haben. Vielleicht ist einer meiner Kollegen bereit, seine Zeit damit zu vergeuden.«
    Andrejew kletterte auf einen Hocker, um eine Neonröhre über einer Art Drehscheibe anzumachen.
    Arkadi öffnete den Behälter, hob den Kopf heraus und stellte ihn auf die Drehscheibe. Andrejew fuhr sanft mit den Fingern durch das lange braune Haar.
    »Jung, ungefähr zwanzig, weiblich, europäisch, recht symmetrisch«, stellte er fest. Er hob abwehrend die Hand, als Arkadi ihm von den drei Morden erzählen wollte. »Versuchen Sie nicht, mich für Ihren Fall zu interessieren. Ein paar Köpfe mehr oder weniger fallen hier nicht ins Gewicht. Die Verstümmelung ist allerdings ungewöhnlich.«
    »Der Mörder glaubt, ihr Gesicht unkenntlich gemacht zu haben«, stellte Arkadi fest. »Sie können es rekonstruieren.«
    Andrejew stieß die Drehscheibe leicht an, so dass sich der Kopf langsam drehte.
    »Sie sind ein Künstler mit besonderen Fähigkeiten, Professor.«
    »Meine Kollegen fertigen auch recht hübsche Rekonstruktionen an. Ich habe Wichtigeres zu tun.«
    »Was kann wichtiger sein als die Tatsache, dass zwei Männer und diese junge Frau praktisch vor Ihrem Fenster ermordet worden sind?«
    »Ich rekonstruiere nur, Chefinspektor. Ich kann sie nicht ins Leben zurückbringen.«
    Arkadi stellte den leeren Behälter auf den Boden. »Das Gesicht genügt mir.«
     
    Im Lefortowo-Gefängnis im Osten der Stadt fuhr ein Aufseher mit Arkadi in einem klapprigen Aufzug ins Kellergeschoss hinunter. Wo mochte Sonja jetzt sein? Sie hatte ihn angerufen, um ihm mitzuteilen, sie werde nicht mehr in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Wenn er an sie dachte, erinnerte er sich vor allem an ihren Gesichtsausdruck an der Schlafzimmertür in Mischas Datscha: Sonja hatte triumphiert, als sei er ein Gegner, der seinen Trumpf zu früh ausgespielt hatte. Unterdessen jedoch beschäftigte ihn ein ganz anderes Phänomen. Jamskoi hatte tatsächlich die Tonbandaufzeichnungen von Pribluda angefordert, und Andrejew wollte den Kopf der Ermordeten nun doch rekonstruieren. Unter falschen Voraussetzungen und ohne dass Arkadi es wirklich wollte, waren die richtigen Ermittlungen nun doch angelaufen.
    Im Kellergeschoss ging Arkadi einen Korridor mit Eisentüren entlang, öffnete eine davon und sah sich Tschutschin gegenüber, dem Chefinspektor für Sonderfälle, mit hochrotem Kopf, glitzernden Augen und einer Hand am Hosenlatz. Eine vor ihm sitzende junge Frau mit gerötetem Gesicht wandte sich rasch ab, um in ein Taschentuch zu spucken.
    »He, was …« Tschutschins massiger Körper versperrte Arkadi die Sicht. Tschutschin hatte Schweißperlen auf der Oberlippe, als er seine Jacke zuknöpfte und Arkadi in den Korridor hinausschob.
    »Eine Vernehmung?« fragte Arkadi ironisch.
    »Sie ist keine Politische, bloß ‘ne Nutte«, antwortete der andere mit einer wegwerfenden Handbewegung.
    Arkadi war hergekommen, um Tschutschin um einen Gefallen zu bitten. Angesichts der Situation brauchte er nicht mehr zu bitten.
    »Gib mir den Schlüssel zu deinem Aktenschrank.«
    »Kommt nicht in Frage!«
    »Der Staatsanwalt würde sich bestimmt für deine Vernehmungsmethoden interessieren.« Arkadi streckte fordernd die Hand aus.
    »Das traust du dich nicht!« flüsterte Tschutschin heiser. »Wart nur, das zahl ich dir noch heim!«
    Er rückte den Schlüssel heraus.
    Arkadi breitete die Ermittlungsakten auf Tschutschins Schreibtisch aus.
    Kein Chefinspektor zeigte seine Akten gerne einem

Weitere Kostenlose Bücher